Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ist ein globales Problem. Auch in der Schweiz werden bis zum Jahr 2030 in der Pflege, der personalstärksten Berufsgruppe im Gesundheitswesen, ca. 109‘000 Fach- und Hilfspersonen fehlen (Merçay, Burla & Widmer, 2016). Hauptsächlich werden der Langzeitbereich sowie die ambulanten Dienste vom Mangel betroffen sein (Merçay et al., 2016). Auch in den medizinisch therapeutischen Berufen (Rüesch et al., 2014) sowie dem ärztlichen Dienst (Bolliger, Golder, Jans & Rüefli, 2016) wird ein Mangel für die nächsten Dekaden prognostiziert. Dieser Fachkräftemangel führt dazu, dass die anfallende Arbeit von weniger Personal bewältigt werden muss, was zu einer physischen, psychischen und sozialen Mehrbelastung führen kann (Aiken et al., 2012). Die Belastung am Arbeitsplatz kann sich zudem durch soziodemografische Faktoren (Bsp.: alleinerziehend, Angehörigenpflege, Migrationshintergrund) und politische Rahmenbedingungen (Bsp.: fehlende Kindergrippen, teures Gesundheitssystem) verstärken (Hahn, Richter, Beck & Thilo, 2013). Auch Faktoren aus dem beruflichen Umfeld, wie die betriebliche Organisation (Bsp.: Schichtarbeit, fehlende Personalförderung) und das soziale Klima bei der Arbeit (Bsp.: Mobbing, fehlende Fehlerkultur) können die Belastung am Arbeitsplatz fördern (Glazer & Beehr, 2005; Hahn et al., 2013; Suadicani, Olesen, Bonde & Gyntelberg, 2014). Weiter, kann die Belastung am Arbeitsplatz einen direkten und indirekten Einfluss auf die persönliche Gesundheit (Martikainen, Bartley & Lahelma, 2002) sowie negative Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit haben (Aiken et al., 2012). Aiken et al. (2012) stellten fest, dass 21 % der Pflegefachpersonen in der Schweiz unzufrieden mit ihrer Arbeit sind. Gemäss Wenderlein und Schochat (2003) können sich zwei Drittel der Pflegekräfte nicht vorstellen, bis zum Rentenalter im Beruf zu bleiben. 15 % der Pflegefachpersonen wiesen bereits 2012 erhöhte Burnout-Werte auf (Aiken et al., 2012). Ferner leidet insgesamt ein Drittel der Pflegefachpersonen an akuten bzw. chronischen Rückenschmerzen (Schubert et al., 2005). Die Folgen sind krankheitsbedingte Absenzen sowie hohe Fluktuationsraten (Michie & Williams, 2003; Suadicani et al., 2014). Internationale Studien zeigen auf, dass Faktoren, wie Mobbing, fehlende Sinnhaftigkeit der Arbeit, fehlende Entscheidungsfreiheit, fehlende Unterstützung etc. sich auf die Gesundheit der Mitarbeitenden belastend auswirken können (Hasselhorn, Müller, Tackenberg, Kümmerling & Simon, 2005; Suadicani et al., 2014).
In der Schweiz sowie international liegen zum Thema Arbeitsbelastung vorwiegend Daten über Pflegefachpersonen vor. Zu den Belastungsfaktoren von Gesundheitsfachpersonen und in der interprofessionellen Zusammenarbeit sind die Erkenntnisse unzureichend (Hahn et al., 2013). Um gezielte und effiziente Interventionen zur Reduktion von Belastungen am Arbeitsplatz im Schweizer Gesundheitswesen identifizieren und die Datenlage verbessern zu können, fehlen auf das Schweizer Gesundheitswesen angepasste Erhebungsinstrumente.
Das nationale Forschungsprojekt „Work-related Stress among health professionals in Switzerland“ (STRAIN) ist eine Interventionsstudie zur Reduktion der Arbeitsbelastung von Gesundheitsfachpersonal in der Schweiz (Berner Fachhochschule, 2017). Die Intervention richtet sich an das mittlere und obere Management, da diese Personen zuständig sind für angemessene Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz und die Unterstützung sowie das Coaching der Mitarbeitenden. Im Rahmen dieser Studie wurde ein Fragebogen, basierend auf validen und reliablen Skalen, zur Erfassung der Arbeitsbelastung entwickelt. Zudem wurde der STRAIN-Fragebogen mit spezifischen Fragen (bspw. bezüglich Rahmenbedingungen im Schweizer Gesundheitswesen) ergänzt. Ziel dieser Studie ist es nun, die neu entwickelten und angepassten Fragen und Antwortkategorien des STRAIN-Fragebogens auf einheitliche Verständlichkeit und Augenscheinvalidität bei Schweizer Gesundheitsfachpersonen zu testen.
Damit eine valide Erhebung erfolgen kann, müssen Fragebögen auf Passung zu Setting und Zielgruppe auf Verständlichkeit evaluiert werden. Die Augenscheinvalidität und die einheitliche Verständlichkeit wurden mittels kognitiven Interviews und eines Pretests überprüft und einzelne Fragen an das Sample adaptiert. In Abbildung 1 ist das Vorgehen schematisch dargestellt.
Dem STRAIN-Fragebogen liegt das „Modell of causes and consequences of work-related stress” (Kompier & Marcelissen, 1990; Leka & Jain, 2010) zugrunde. Basierend auf diesem Modell wurden valide und reliable Skalen ausgewählt, um potenzielle Risikofaktoren, Stressreaktionen sowie Langzeitkonsequenzen für Fachpersonen und Organisationen erfassen zu können. In Abbildung 2 werden die Themenbereiche, auf Basis des Modells, zusammengefasst dargestellt. Als Grundlage für den STRAIN-Fragebogen wurde der in der europaweiten
Der STRAIN-Fragebogen setzt sich inhaltlich aus den folgenden verwendeten Skalen zusammen: Insgesamt besteht der STRAIN-Fragebogen aus 94 Fragen. Davon stammen 77 Fragen aus dem NEXT-Fragebogen (Hasselhorn et al., 2005) sowie der deutschen validierten Version des COPSOQ (Nübling et al., 2006). Vier weitere Fragen des NEXT-Fragebogens wurden hinzugefügt und angepasst, da sie speziell für das Pflegepersonal entwickelt wurden und nicht generisch für das Gesundheitspersonal. Sieben Fragen wurden aufgrund der Unterschiede in Bezug auf die gesetzlichen Regelungen (Bsp. Pausen, Ruhezeiten, Pikett- und Bereitschaftsdienst) sowie auf die Ausbildungsmöglichkeiten neu erstellt. Die Skalen des COPSOQ wurden von Nübling et al. (2006) auf ihre Reliabilität (Cronbach’s alpha von 0,65 bis 0,90) und Validität geprüft. Die psychometrischen Eigenschaften (Cronbach’s alpha von 0,64 bis 0,94) der restlichen NEXT-Skalen wurden im Rahmen der Basisbefragung von Hasselhorn et al. (2005) getestet. Die Autoren der Originalskalen gaben ihre Einwilligung zur Nutzung und Anpassung.
Bei der Erstellung des STRAIN-Fragebogens wurden somit sieben Fragen neu entwickelt und vier weitere Fragen adaptiert. Diese 11 Fragen wurden kognitiv evaluiert, und abschliessend wurde der gesamte STRAIN-Fragebogen einem Pretest unterzogen.
Die Einschätzung der Verständlichkeit lässt sich aufgrund der individuellen subjektiven Wahrnehmung optimal durch Interviews erfassen (Miller, Chepp, Willson & Padilla, 2014). Daher wurde die allgemeine Verständlichkeit mittels kognitiven Interviews nach Collins (2014) in Einzelinterviews bestimmt. Die Fragen und Antworten sollten möglichst über alle Teilnehmenden hinweg eindeutig sein, sodass eine Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse möglich wird (Miller et al., 2014). Prüfer und Rexroth (1996) erwähnen, dass Mängel nur in einem vorangehenden kognitiven Pretest erkannt werden können. Belson (1986) zufolge kann selbst einer plausiblen Antwort ein falsches Fragenverständnis zugrunde liegen. Antwortende können aufgrund ihrer individuellen Charakteristika (bspw. Sprachkenntnis, Fachjargon, Bildungsniveau und Erfahrung) die Fragen sowie Antworten unterschiedlich interpretieren (Miller et al., 2014). Gemäss Collins (2014) muss eine Person zur Beantwortung einer Frage vier Phasen kognitiv verarbeiten: (1) Zuerst muss die Frage mit den möglichen Antwortkategorien verstanden werden, (2) dann muss das Wissen aus der Erinnerung dazu abgerufen werden. (3) Daraufhin muss sich die Person Gedanken über die geplante Antwort machen, ob sie so formuliert werden soll bzw. ob sie die Antwort so formulieren will, um (4) die Antwort zu guter Letzt zu geben (Collins, 2014) (Abb. 3).
Nach Anpassung des Fragebogens auf Basis der Ergebnisse aus den Interviews wurde ein Pretest durchgeführt. Dieser lieferte Hinweise auf die Nutzerfreundlichkeit des Online-Fragebogens, die Verständlichkeit und logische Reihenfolge der Fragen sowie die Dauer zum Ausfüllen des Fragebogens (Prüfer & Rexroth, 1996). Der so getestete Fragebogen wird in der nationalen STRAIN-Studie eingesetzt, um potenzielle Belastungsfaktoren, Stressreaktionen und Langzeitfolgen vom Schweizer Gesundheitspersonal in Akutkliniken, Psychiatrien, Rehabilitationskliniken, in der spitalexternen Pflege und in Langzeiteinrichtungen zu erheben und mittels gezielter Intervention zu reduzieren.
Die Literatur verweist auf Stichprobengrössen für die kognitive Testung zwischen 10 und 25 Personen (Collins, 2014; Miller et al., 2014; Prüfer & Rexroth, 1996; Willis, 2005). Weiter wird empfohlen, gezielt Personen mit einer hohen Bildung zu befragen, da sie „wahrscheinlicher Probleme in kurzer Zeit erkennen und artikulieren können“ (Miller et al., 2014, S. 17). Aber auch Personen mit einem tiefen Bildungsstand ermöglichen rasche Hinweise auf Probleme, wie „schwierige Vokabeln, Fragen oder unklarer Inhalt“ (Miller et al., 2014, S. 17). Da die Gesundheitsberufe verschiedene Bildungsniveaus aufweisen, musste die Stichprobe entsprechend heterogen angestrebt werden.
Für die kognitiven Interviews wurde eine Stichprobe von Pflegenden der spitalexternen Pflege in der deutschsprachigen Schweiz ausgewählt. Die Stichprobe wurde in drei Gruppen (Dipl. Pflegefachperson HF/ FH, Fachangestellte/r Gesundheit oder Assistent/in Gesundheit und Soziales und Pflegehelfer/in SRK) mit jeweils sechs Teilnehmenden, entsprechend des Bildungsniveaus, unterteilt. Insgesamt wurde eine Stichprobe von 18 angestrebt.
Der abschliessende Pretest wurde mit insgesamt 17 Gesundheitsfachpersonen aus der Pflege (n = 12), den medizinisch-technischen-therapeutischen Berufen (n = 3) sowie Personen aus dem ärztlichen Dienst (n = 2) durchgeführt. Die Teilnehmenden waren zum Zeitpunkt des Pretests in der ambulanten Pflege, Langzeitpflegeeinrichtungen sowie Akutspitälern und Psychiatrien tätig. Keine dieser Personen hatte zuvor an den kognitiven Interviews teilgenommen.
Die Datensammlung wurde zwischen November 2016 und Januar 2017 durchgeführt. Für die kognitive Validierung des Fragebogens wurden Organisationen der spitalexternen Pflege der Deutschschweiz für die Rekrutierung von Probanden angefragt. Diese leiteten die Informationen an Interessierte weiter, welche sich beim Forschungsteam meldeten. Die Eingrenzung auf das Setting der spitalexternen Pflege erfolgte, um die Machbarkeit, mit Fokus auf die zeitlichen Ressourcen im Rahmen eines Pretests, zu gewährleisten. Auch gerade bei den neu erstellten Fragen zu den betrieblichen Strukturen (Umgang mit Pausen und Pikettdienst etc.) schien die spitalexterne Pflege für die Validierung am geeignetsten, da angenommen wurde, dass die verwendeten Begriffe für die generierten Fragen und Antwortkategorien in diesem Setting nicht geläufig seien. Für die kognitive Validierung wurde die Technik „
Interviewleitfaden nach Collins (2014) inkl. Subkategorien nach Willis (2005)Phase/Kategorie Beispielfragen Subkategorien nach Willis (2005) 1. 2. 3. 4. 5.
Der Pretest des Gesamtfragebogens erfolgte online via Surveymonkey® zwischen März und Mai 2017. Es wurde eine Gelegenheitsstichprobe von Gesundheitsfachpersonen aus dem Umfeld der Forschenden durchgeführt. Sie wurden für eine Teilnahme per E-Mail oder Telefon angefragt und erhielten, bei Zusage, via E-Mail den Link zum Online-Fragebogen. Die Teilnehmenden konnten den Fragebogen ausfüllen und pro Frage ergänzend direkt kommentieren oder nach Abschluss des Fragebogens eine Rückmeldung per E-Mail an die Forschenden senden.
Die Datenanalyse erfolgte quantitativ und qualitativ. Die generierten Daten wurden mittels des Textverarbeitungsprogramms F4 transkribiert. Da der jeweilige Dialekt einen wesentlichen Einfluss auf die verwendeten Begriffe und somit auf das Verstehen einer Frage bzw. einer Antwort hat, wurden für das Schweizerdeutsch typische Wörter belassen.
Die qualitative Analyse geschah interpretativ nach Miller et al. (2014) in zwei Durchgängen mittels des Datenanalyseprogramms MAXQDA 12®. Ziel dieses Ansatzes ist „das konzeptuelle Verständnis über den [kognitiven] Prozess zur Formulierung einer Antwort sowie jegliche Schwierigkeit, Antwortende erfahren können […] zu produzieren“ (Miller et al., 2014, S. 37). Insgesamt gab es fünf Analyseschritte (Interview durchführen, zusammenfassen, Vergleich der einzelnen Interviews, Vergleich zwischen den Gruppierungen, Schlussfolgerung). Mit jedem weiteren Schritt erfolgte eine Reduktion des Textumfangs sowie eine Erhöhung der Interpretationsebene.
Nach Willis (2005) gibt es fünf mögliche Subkategorien, welchen identifizierte Probleme beim Kognitiven Pretesting zugeteilt werden können (Tabelle 1, rechte Spalte). Die Zuteilung geschah im Rahmen des zweiten qualitativen Analyseschritts. Es erfolgte eine Häufigkeitsanalyse der identifizierten Probleme mittels SPSS 23® pro Subkategorie in Relation zu der Gesamtanzahl. Die maximale Anzahl möglicher Probleme entspricht der Anzahl Fragen (n = 11) multipliziert mit der Anzahl Teilnehmenden pro Interview-Durchgang (n1 = 8; n2 = 10).
Die Rückmeldungen der Teilnehmenden wurden in einer Excel-Tabelle, kategorisiert nach der Frage, gesammelt. Kommentare mit gleichem Inhalt wurden zusammengefasst, sodass abschliessend pro Frage die Kommentare nach Häufigkeit sortiert werden konnten. Jede Frage wurde in der Projektgruppe besprochen und nach Konsensfindung wurden Anpassungen vorgenommen oder in der Ausgangsform belassen.
Insgesamt beteiligten sich 18 Pflege- und Betreuungspersonen aus der spitalexternen Pflege an der kognitiven Validierung. Die Interviews dauerten jeweils 23 bis 47 Minuten und wurden am Arbeitsplatz der Teilnehmenden oder an der Berner Fachhochschule geführt. Die grosse Mehrheit der Befragten (94,4 %) war in einer Organisation der ambulanten Pflege tätig. Die Teilnehmenden waren im Schnitt 47 Jahre alt, mehrheitlich Schweizer Staatsbürger (88,9 %) und bis auf zwei Personen weiblich (Tabelle 2). Am abschliessenden Pretest haben 17 Personen teilgenommen. Die Teilnehmenden setzten sich aus Abteilungsleitungen, Assistenz- und Oberärztinnen bzw. Assistenz- und Oberärzten, Berufsbildern/-innen, Fachfrauen/-männer Gesundheit, Heimleitungen, Physiotherapeut(inn)en, Pflegefachpersonen HF/FH, Pflegeexpert(inn)en und Pflegedienstleitenden zusammen.
Basismerkmale Stichprobe kognitive InterviewsCharakteristika Anzahl Wertebereich (Mittelwert)
Im ersten Interview-Durchgang (n = 8) wurden insgesamt 42 Probleme in einer der vier Phasen nach Collins (2014) identifiziert, was nahezu die Hälfte (47 %) aller möglichen Antworten ausmacht. Etwas mehr als die Hälfte (57 %) der Probleme zeigte sich beim Verstehen der gesamten Frage oder eines einzelnen Begriffs und wurde der Subkategorie „Der Antwortende hat Schwierigkeiten, die Frage, ein bestimmtes Wort oder das Konzept zu verstehen“ zugeteilt. Weitere 38 % der Probleme konnten der Subkategorie „Der Antwortende hat Schwierigkeiten, die Antwort zu geben, die möglichen Antworten treffen nicht zu“ zugeordnet werden, da dort die Antwortmöglichkeiten für die spitalexterne Pflege als unzureichend oder unpassend angesehen wurden. Im zweiten Interview-Durchgang (n = 10) wurden zwei Probleme mit Fragen und Antworten erfasst, was 2 % aller möglichen Antworten ausmacht.
Im ersten Durchgang wurden bei den
Anpassungsprozess der Fragen & Antwortkategorien im Verlauf der kognitiven Validierung Anpassungen nach erstem Durchgang sind kursiv hervorgehoben. Kein Bildungsabschluss Sekundarstufe II; Berufliche Grundbildung (Lehre)/Berufsattest/ Fähigkeitszeugnis/ Maturität Höhere Fachschule Fachhochschule/Universität; Hochschulabschluss auf Bachelorniveau Fachhochschule/Universität; Hochschulabschluss auf Masterniveau Doktorat/PhD Habilitation Tertiärstufe; Höhere Fachschue/ Hochschulabschluss auf Masterniveau Wie lange arbeiten Sie schon Wie lange arbeiten Sie schon in Informationstext vor der Frage:Fragen Durchgang 1 Angepasste Fragen/Antworten Durchgang 2 Keine Anpassungen vorgenommen. Keine Anpassungen.
In den Fragen (1, 3, 5, 6, 8, 11) zeigten sich Probleme mit dem Verständnis einzelner Wörter. Drei Fragen bzw. deren Antwortkategorien (1, 8,10) wurden marginal angepasst, nachdem Interviewte äusserten, einzelne Begriffe nicht zu verstehen oder aufgrund möglicher Mehrdeutigkeit eine falsche Antwort angekreuzt hätten (Tabelle 3). So wird bspw. ein durch den nachträglichen Titelerwerb erhaltener Bildungsabschluss nicht als solcher angesehen: „
Bei Antworten zweier Fragen (7, 10) wurden nahezu in allen Interviews des ersten Durchgangs Probleme mit den Antwortkategorien festgestellt. Bei
Im Vergleich der Gruppen nach Bildungsniveau konnte kein Unterschied in Bezug auf die Art der Probleme im Frage-Antwort-Prozess identifiziert werden. Einzig bei der Frage zur Einhaltung gesetzlicher Rahmenbedingungen hatten diplomierte Pflegefachpersonen (n = 1) weniger Verständnisprobleme aufgrund fehlenden Wissens als Fachfrauen/-männer Gesundheit (n = 3).
Im Durchschnitt benötigen die Teilnehmenden 30 Minuten zum Ausfüllen des Fragebogens. Die Dauer variierte zwischen 20 und 40 Minuten. Die Teilnehmenden gaben keine Verständlichkeitsprobleme an. Sie wiesen auf Fehler der Rechtschreibung hin und gaben Optimierungsvorschläge zur Darstellung. Weiter gaben die Teilnehmenden die Rückmeldung, dass ihnen die Option zur Unterbrechung des Fragebogens und späterer Weiterführung gefehlt habe. Dies, da es während der Arbeit zu Situationen kam, die die Teilnehmenden dazu veranlassten, das Büro zu verlassen.
Die Stichprobengrösse konnte erreicht werden. Aufgrund der Gruppierung in die Bildungsniveaus ist die Gruppengrösse (n = 6) an der unteren Grenze des Empfohlenen (Prüfer & Rexroth, 1996). Hinzu kommt, dass die Verteilung auf die Bereiche Spitex, Psychiatrie- und Kinderspitex nicht gleichmässig ist. Die Psychiatrie- und Kinderspitex sind untervertreten. Dies ist der Gelegenheitsstichprobe geschuldet. Eine bessere Verteilung hätte möglicherweise Hinweise auf Unterschiede zwischen den einzelnen Settings geliefert. Zudem ist zu beachten, dass die Mehrheit der Teilnehmenden (n = 16) Schweizer sind. Das im Ausland ausgebildete und in die Schweiz migrierte Gesundheitspersonal stammt gemäss Merçay et al. (2016) zu 16,7 % aus Ländern mit einer anderen Sprache als einer der Schweizer Landesprachen. Dieses Personal könnte sprachliche Probleme mit dem Fragebogen haben. In dieser Studie sind sie nicht angemessen vertreten. Lediglich eine Person wies eine andere Muttersprache auf, was die gegenwertige Situation unzureichend abbildet. Jedoch muss davon ausgegangen werden, dass Pflege- und Betreuungspersonen über ein ausreichendes Sprachverständnis verfügen, um den Fragebogen ausfüllen zu können. Der Pretest wies auf potenzielle Gefahren hin. Es war den Teilnehmenden nicht möglich, die Befragung zu unterbrechen, was bei der eigentlichen Erhebung zu einer erhöhten Abbruchrate führen könnte. Zum einen wurde die durchschnittliche Dauer zum Ausfüllen des Fragebogens von 30 Minuten als lang erlebt. Zum anderen müssen Gesundheitsfachpersonen aufgrund ihrer Tätigkeit ihre Arbeit am Computer regelmässig unterbrechen.
Es konnten aus den kognitiven Interviews differenzierte Aussagen, durch Aufteilung des Frage-Antwort-Prozesses in die vier Phasen (CASM), zur Verständlichkeit der Fragen und Antwortkategorien gewonnen werden. Die Ergebnisse dieser Studie decken sich mit denen vergleichbarer Studien, die ebenfalls am häufigsten Probleme beim Verstehen aufzeigen (Willis, 2005).
Die Aussagen der Teilnehmenden lieferten Hinweise auf Mängel in den durch das Projektteam entwickelten bzw. angepassten Fragen und Antworten. Gemäss Willis (2005) sind 60–70 % der Probleme der ersten Phase (Verstehen) zuzuordnen. Diese Unbeständigkeit bestehe, da verschiedene Forschende unterschiedliche Probleme bei der gleichen Frage identifizieren würden (Willis, 2005). Im ersten Durchgang zeigte sich, dass dieser Anteil mit 57 % knapp unter den Erfahrungswerten liegt. Der Anteil der Probleme mit den Antworten ist mit 38 % an zweiter Stelle, was zwar auch bisherigen Ergebnissen entspricht, jedoch nicht in diesem Ausmass (Willis, 2005). Ein Grund für den hohen Anteil der Probleme mit den Antwortkategorien könnte sein, dass die für die Entwicklung der Kategorien herangezogenen Quellen nicht für alle Gesundheitsberufe gültig waren. Als Beispiel soll die
Ebenso kam es unter Verwendung von berufsspezifischen Quellen zur Erstellung von Fragen und Antwortkategorien zu Problemen während des Frage-Antwort-Prozesses. Es scheint, als seien sich die an den Interviews beteiligten Pflege- und Betreuungspersonen in der spitalexternen Pflege nicht über die gesetzlichen Regelungen zu Pause und Ruhezeit im Klaren: „
Anscheinend kann auch nicht impliziert werden, dass für einen geläufigen Begriff Übereinstimmung in der Deutung vorliegt (Boggatz, 2015). Gemäss Bonis (2013) ist die Übereinkunft über einen Begriff kulturell bedingt, die sich auch über die Zeit verändern kann. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht gibt es zum Beispiel einen klaren Unterschied zwischen Verantwortungsgefühl und Pflichtgefühl. Beide Begriffe werden jedoch im Alltag, seit Längerem, meist als synonym verstanden (Fromm, 2015). Ein weiteres Beispiel ist der Begriff „Beruf“, der „bis heute vielschichtig, mehrdeutig und umstritten ist“ (Dostal, Stooß & Troll, 1998, S. 440). Ein Grund hierfür könnte die Dissolution des Begriffs durch Überschneidungsbereiche der Berufsfelder in den Pflege- und Betreuungsberufen als auch anderen Gesundheitsberufen sein. Diese Überschneidungen bestehen gemäss Bollinger, Gerlach und Pfadenhauer (2016) aufgrund der Akademisierung nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe sowie der Anpassungen an gesellschaftliche Bedarfe. Die Aufteilung der
Die kognitiven Interviews zeigen klar auf, dass eine einheitliche Verständlichkeit von Items in Fragebögen nicht selbstverständlich ist. Gerade bei einer heterogenen Zielgruppe, wie dem Gesundheitspersonal, ist eine unterschiedliche Verständlichkeit in Bezug auf die Fragebogenitems anzunehmen. Ein einheitlich verständlicher Fragebogen ist jedoch für berufsübergreifende Vergleiche sowie interprofessionell zu planende Massnahmen essenziell. Durch kognitive Interviews und Pretest kann dies erreicht werden. Um die Gültigkeit der Resultate auf Basis von Fragebögen zu erhöhen, scheinen kognitive Pretests angebracht. Durch die Testung in dieser Studie konnte eine einheitliche Verständlichkeit des STRAIN-Fragebogens zur Erfassung der Arbeitsbelastung bei den Gesundheitsfachpersonen erreicht werden.
Erstmalig liegt ein umfassender Fragebogen zur Erfassung der Arbeitsbelastung und dessen Folgen beim Gesundheitspersonal für die Schweiz vor. Die einheitliche Verständlichkeit ist auch hier im Kontext der Zeit und somit der sich verändernden Kultur zu verstehen. Beispielsweise werden sich die Professionalisierung und Akademisierung diverser Gesundheitsberufe auf die Verständlichkeit auswirken. Die Halbwertszeit dieser Gültigkeit lässt sich prospektiv nicht bestimmen. So scheint es angebracht, den STRAIN-Fragebogen nach geraumer Zeit einem erneuten kognitiven Pretest zu unterziehen.
Der Autor und die Autorinnen danken den Spitex-Organisationen für ihre Unterstützung in der Rekrutierung. Ein besonderes Dankeschön geht an die Gesundheitsfachpersonen, die bereit waren, an den Interviews sowie dem Pretest teilzunehmen und somit einen wesentlichen Beitrag an den Vorarbeiten zum Projekt STRAIN geleistet haben.
Im Rahmen der STRAIN-Studie wurde die Ethikkommission des Kantons Bern um Bewilligung der Studie angefragt. Sie erklärte sich nicht zuständig für die Studie, da diese nicht unter das Humanforschungsgesetz fällt. Die Nicht-Zuständigkeitserklärung wurde am 24.10.2016 ausgestellt. Die Teilnehmenden sind Fachpersonen, die eigenverantwortlich über die Teilnahme entscheiden können. Die Beteiligten wurden schriftlich und mündlich über Inhalt/Zielsetzung sowie zur Freiwilligkeit der Teilnahme aufgeklärt. Ihr Einverständnis wurde schriftlich eingeholt. Der Datenschutz wurde durch Pseudonymisierung der Daten gewährleistet.
Es liegt kein Interessenkonflikt vor. Die Arbeiten erfolgten im Rahmen des nationalen Projekts „Strategie gegen den Fachkräftemangel in den Gesundheitsberufen“, gefördert durch das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation und die fünf beteiligten öffentlichen Fachhochschulen.