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On the slow implementation of pilot projects: Suspected causes from the perspective of statutory health insurance funds / Zur zögerlichen Umsetzung von Modellvorhaben: vermutete Ursachen aus Sicht der gesetzlichen Krankenkassen


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Einleitung

Das System der pflegerischen Versorgung in Deutschland befindet sich in einer Umbruchphase. Nach weitreichenden Reformen im Rahmen der Pflegestärkungsgesetze I bis III (S. BGBl 2014/2222; BGBl 2015/2424 und BGBl 2016/3191) erfolgten mit dem Gesetz zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG) tief greifende Veränderungen, in erster Linie im Hinblick auf eine generalisierte Ausbildung von Pflegenden (S. BGBl 2017/2581).

Auch wenn im Fokus des Pflegeberufereformgesetzes (PflBRefG) zweifelsohne die Reform zur generalistischen Ausbildung steht, sind weitere maßgebliche Änderungen in dem Gesetz enthalten. So sind beispielweise die Veränderungen für Modellvorhaben gemäß § 63 Abs. 3c Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch (SGB V) im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Neuabgrenzung der Gesundheitsfachberufe zumindest in der politischen Diskussion bislang nahezu nicht präsent gewesen. Dabei sind auch hier maßgebliche Veränderungen erfolgt, auf die im Folgenden vertiefend eingegangen wird.

Der Sachverständigenrat fordert bereits seit Jahren eine Weiterentwicklung der Kooperation im Gesundheitswesen und damit eine Veränderung der Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsfachberufen (SVR, 2007). Bereits im Jahr 2008 hat der Gesetzgeber diese Forderung des SVR aufgegriffen und im Rahmen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes (PfWG) Regelungen zur Durchführung von Modellvorhaben, mit dem Ziel einer Erprobung der Übertragung von erweiterten Aufgaben auf Pflegende in § 63 Abs. 3c SGB V, implementiert (S. BGBl 2008/874; SVR, 2014). Auf dieser Grundlage hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Oktober 2011 seine Richtlinie über die Festlegung ärztlicher Tätigkeiten zur Übertragung auf Berufsangehörige der Alten- und Krankenpflege zur selbständigen Ausübung von Heilkunde beschlossen (G-BA, 2012).

Die wissenschaftliche Debatte zur Neuabgrenzung der Aufgaben- und Tätigkeitsfelder zwischen den Gesundheitsfachberufen hat in der Folge erheblich an Intensität gewonnen und es wurden verschiedene Untersuchungen durchgeführt und umfangreiche Konzepte entwickelt (vgl. exemplarisch Robert-Bosch-Stiftung, 2013 und 2010; SVR, 2014; Kuhlmey, Höppner & Schaeffer, 2011; Offermanns & Neiheiser, 2010; Blum, Offermanns & Perner, 2008; Höppner 2008). So hat der Wissenschaftsrat (WR) im Jahr 2012 darauf verwiesen, dass Angehörige der verschiedenen Gesundheitsfachberufe nicht nur zunehmend komplexere Aufgaben zu erfüllen haben werden, sondern auch Aufgaben übernehmen, die zuvor von Ärzten wahrgenommen wurden (WR, 2012). In diesem Kontext hat der Wissenschaftsrat eine akademische Qualifizierung von Gesundheitsfachberufen gefordert (WR, 2012).

Insofern ist die Übertragung von Heilkunde nach wie vor umstritten, aber politisch gewollt. Dies hat die „Große Koalition“ in ihrem Koalitionsvertrag bekräftigt: „Der Einsatz von qualifizierten nichtärztlichen Gesundheitsfachberufen, die delegierte ärztliche Leistungen erbringen, soll flächendeckend ermöglicht und leistungsgerecht vergütet werden. Modellvorhaben zur Erprobung neuer Formen der Substitution ärztlicher Leistung sollen aufgelegt und evaluiert werden. Je nach Ergebnis werden sie in die Regelversorgung überführt.“ (CDU, CSU & SPD 2013, 53f.)

Auch in der Ärzteschaft scheint ein Wandel stattgefunden zu haben. So wird die Übertragung von Heilkunde nicht mehr generell abgelehnt. Auf dem 118. Deutschen Ärztetag im Mai 2015 in Frankfurt wurde die Erstellung einer Rahmenvorgabe für die Ausbildung und die Tätigkeit akademisierter Gesundheitsfachberufe begrüßt. Allerdings stand hier zunächst das in Deutschland noch neue und in Teilen wenig bekannte Berufsbild des Physician Assistant im Fokus, weitere akademisierte Gesundheitsfachberufe sollen aber zukünftig in die Rahmenvorgaben einbezogen werden (Bundesärztekammer, 2015, S. 205). Der Gesetzgeber sowie die Vertragspartner des Bundesmantelvertrags wurden auf dem 118. Deutschen Ärztetag aufgefordert, „die Ausweitung der Delegation ärztlicher Leistungen unter dem Kriterium der Arztentlastung und der Steuerung der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen zu organisieren“ (Bundesärztekammer, 2015, S. 207). Im Ergebnis wurde von der Ärzteschaft auch explizit festgehalten, dass der gezielte Einsatz der Delegation ärztlicher Leistungen eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung sichern könne (Bundesärztekammer, 2015, S. 207). Eine Substitution ärztlicher Leistungen wird aber nach wie vor strikt abgelehnt. Hierzu wurde im Jahr danach auf dem 119. Deutschen Ärztetag im Mai 2016 in Hamburg beschlossen: „Die persönliche Leistungserbringung ist eines der wesentlichen Merkmale freiberuflicher Tätigkeit. Dennoch kann der Arzt Leistungen in Teilen auch an nichtärztliche Mitarbeiter delegieren. Der 119. Deutsche Ärztetag lehnt die Substitution ärztlicher Tätigkeit, insbesondere für Indikationsstellung, Diagnostik und Therapie, strikt ab. Sie schadet gleichermaßen der Patientensicherheit sowie der Versorgungsqualität und schafft Rechtsunsicherheit für Ärzte, nichtärztliche Fachberufe und Patienten.“ (Bundesärztekammer, 2016, S. 12)

In seinem Gutachten zur bedarfsgerechten Versorgung aus dem Jahr 2014 hat der Sachverständigenrat die schleppende Umsetzung von Modellvorhaben zur Verbesserung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung kritisiert (SVR, 2014). Hier bemängelt der SVR, dass bisherige Modelle und Initiativen (wie AGnES, VERAH, MOPRA, EVA oder HELVER) gemäß § 28 Abs. 1, Satz 2 SGB V stark durch den Gesichtspunkt der Arztentlastung geprägt seien und kaum der Intention einer intelligenten Rollen(neu)verteilung folgen. Es werde an herkömmlichen Vorstellungen von Assistenzdisziplinen und der traditionelle Rollen-und Verantwortungsverteilung zwischen den Gesundheitsprofessionen festgehalten. Als Hauptgrund für die zögerliche Umsetzung von Modellvorhaben gem. § 63 Abs. 3c SGB V vermutet der SVR, dass die Umsetzungsvoraussetzungen in der Richtlinie des G-BA und im Gesetz (SGB V und KrPflG/AltPflG) zu anspruchsvoll sind (SVR, 2014). Hingegen konnten die häufig in der Debatte den Patientinnen und Patienten unterstellten Akzeptanzprobleme nicht belegt werden. Vielmehr werde die Akzeptanz maßgeblich von gemachten Erfahrungen beeinflusst, an denen es allerdings in Deutschland aufgrund der langsamen Umsetzung von Modellvorhaben mangelt (SVR, 2014; Wessels, 2013).

Zielsetzung und fragestellung

Die Kritik des SVR an der schleppenden Umsetzung von Modellvorhaben bildet den Ausgangspunkt für das in diesem Beitrag vorgestellte Forschungsvorhaben, mit dem die Gründe für die zögerliche Umsetzung von Modellvorhaben aus Sicht der Gesetzlichen Krankenversicherung untersucht werden sollen. Anhand einer Befragung der Krankenkassen sollte überprüft und analysiert werden, welche Gründe für die bisher langsame Umsetzung von Modellvorhaben bestehen. Darüber hinaus wurden im Rahmen der Befragung der Krankenkassen weitere Bereiche, insbesondere im Hinblick auf die erwarteten Auswirkungen bei einer Übertragung von Heilkunde sowie die wichtigen Aspekte aus Sicht der Krankenkassen bei einer Übertragung von Heilkunde, erhoben, auf die jedoch im Rahmen dieses Beitrages nicht weiter eingegangen wird.

Methode

In die Befragung, die als Vollerhebung konzipiert war, wurden alle gesetzlichen Krankenkassen (n=124, Stand 01.01.2015) einbezogen (GKV-Spitzenverband, 2015). Der verwendete Fragebogen wurde in Anlehnung an eine bereits durchgeführte Erhebung bei Patientinnen und Patienten im Rahmen des Gesundheitsmonitors der Bertelsmann-Stiftung und der Barmer GEK gestaltet (Wessels, 2013) und daher zu großen Teilen übernommen, um eine spätere Vergleichbarkeit der Antworten herstellen zu können. Im Vorfeld erfolgte eine Voranfrage bei allen Krankenkassen, mit der Bitte um Benennung zuständiger fachlicher Ansprechpartner. Hier wurden in der Regel mehrere Ansprechpartner benannt. Auf dieser Grundlage wurde in einer ersten Befragungswelle der Fragebogen per E-Mail („online“) an die benannten fachlichen Ansprechpartner versandt; hatte eine Krankenkasse keinen fachlichen Ansprechpartner benannt, wurde der Fragebogen an die allgemeinen/zentralen Kontaktdaten zugestellt, die auf der jeweiligen Internetpräsenz der einzelnen Krankenkassen recherchiert wurden (auch hier waren zum Teil mehrere Kontaktmöglichkeiten angegeben). Aufgrund einer relativ niedrigen Rücklaufquote wurde der Fragebogen in einer zweiten Befragungswelle per Post zusätzlich in Papierform („paper & pencil“) an die Vorstandsvorsitzenden aller Krankenkassen geschickt. Die Befragung erfolgte im Januar und Februar 2015.

Rücklaufquote und Stichprobe

Die Rücklaufquote der Befragung lag bei n=55 Fragebögen. Bezogen auf die Grundgesamtheit aller versandten Fragebögen von n=487 (online und in Papierform) beträgt die Rücklaufquote 11,5 Prozent und erscheint damit zunächst relativ gering. Vor dem Hintergrund der Grundgesamtheit aller Krankenkassen (n=124, Stand 01.01.2015) erscheint der Rücklauf aber durchaus angemessen. Eine differenzierte Übersicht zum Versand und Rücklauf der Fragebögen ergibt sich aus Abbildung 1.

Abbildung 1

Rücklauf

Aus Tabelle 1 wird ersichtlich, dass Rückläufer von fast allen Krankenkassenarten vorhanden sind; lediglich die Krankenkasse Knappschaft-Bahn-See (KBS) hat sich nicht beteiligt. Die meisten Fragebögen stammen von Betriebskrankenkassen. Das ist insofern nicht unerwartet, als die Betriebskrankenkassen absolut auch die größte Anzahl aller Krankenkassen darstellen. Tabelle 1 zeigt, dass 62,3 Prozent der Fragebögen von Betriebskrankenkassen (BKK) ausgefüllt wurden, 15,1 Prozent von den Ersatzkassen (vdek), 11,3 Prozent von den Ortskrankenkassen (AOK), 9,4 Prozent von den Innungskrankenkassen (IKK) und von der landwirtschaftlichen Krankenkasse (LKK) 1,9 Prozent. Bei zwei Fragebögen war keine Kassenart angegeben.

Krankenkassen je Kassenart (n=53)

Deutschland (Stand: 01.01.2015)Stichprobe (n=53)
Absolut RelativAbsolutRelativ
AOK118,9%611,3%
BKK9979,8%3362,3%
IKK64,8%59,4%
LKK10,8%11,9%
KBS10,8%00,0%
Ersatzkassen64,8%815,1%
Gesamt124100,00%53100,00%

Das alleine wäre aber nicht aussagekräftig. Daher wurde zusätzlich zur Kassenart die Größe der Krankenkassen, bezogen auf die Zahl der Versicherten, abgefragt. Aus Abbildung 2 wird deutlich, dass sich einerseits viele kleine Krankenkassen (mit bis zu 100.000 Versicherten) beteiligt haben, die vorrangig von den Betriebs- und Innungskrankenkassen stammen. Andererseits haben sich aber auch große Krankenkassen (mit mehr als zwei bzw. drei Millionen Versicherten) an der Befragung beteiligt; diese stammen vorrangig von den Allgemeinen Ortskrankenkassen und den Ersatzkassen.

Abbildung 2

Versichertenzahl der Krankenkassen

Ergebnisse
Einschätzungen und Beteiligung der Krankenkassen

Zur Einstellung der Krankenkassen im Hinblick auf die Übertragung von Heilkunde können aus der Befragung die folgenden Ergebnisse präsentiert werden: Zunächst wurde danach gefragt, ob die Übertragung von Heilkunde auf nichtärztliche Leistungserbringer als ein sinnvoller Ansatz zur Sicherstellung der Versorgung angesehen wird. Dies wird von 94 Prozent der Krankenkassen bestätigt. Nur sechs Prozent sind nicht dieser Auffassung (vgl. Abb. 3).

Abbildung 3

Sinnvoller Ansatz zur Sicherstellung der Versorgung

Diejenigen, die eine Übertragung von Heilkunde auf nichtärztliche Leistungserbringer für einen sinnvollen Ansatz zur Sicherstellung der Versorgung erachten, wurden zusätzlich danach gefragt, für wie wichtig sie diesen Ansatz halten. Auch hier zeigt sich ein ähnliches Bild (vgl. Abb. 4): Von keiner Krankenkasse wird dieser Ansatz für völlig unwichtig gehalten, und nur vier Prozent halten ihn für eher unwichtig. Hingegen halten 45 Prozent der Krankenkassen die Übertagung von Heilkunde für eher wichtig und sogar mehr als die Hälfte (51 Prozent) für überaus wichtig. Insgesamt erachten damit 96 Prozent der Krankenkassen die Übertragung von Heilkunde auf nichtärztliche Leistungserbringer für eher oder überaus wichtig.

Abbildung 4

Bedeutung für die Sicherstellung der Versorgung

Genauso zustimmend fiel die Einschätzung auf die Frage aus, ob die Durchführung von Modellvorhaben grundsätzlich befürwortet wird. Abbildung 5 kann entnommen werden, dass 96 Prozent der Krankenkassen die Durchführung von Modellvorhaben befürworten; nur vier Prozent befürworten dies nicht.

Abbildung 5

Einstellung zu und Beteiligung an Modellvorhaben gem. § 63 Abs. 3c SGB V

Deutlich entgegengesetzt fiel allerdings die Beantwortung der Frage aus, ob die jeweilige Krankenkasse derzeit an einem Vertrag zur Übertragung von Heilkunde gem. § 63 Abs. 3c SGB V beteiligt ist. Es gaben 92 Prozent der Krankenkassen an, nicht an einem derartigen Vertrag beteiligt zu sein. Nur acht Prozent der Krankenkassen gaben an, an einem derartigen Vertrag beteiligt zu sein. Allerdings gibt es kaum Hinweise auf existierende Modellvorhaben gem. § 63 Abs. 3c SGB V (Deutscher Pflegerat, 2015); lediglich am Universitätsklinikum der Martin-Luther-Universität in Halle (Saale) wird ein bundesweit einmaliges Modellvorhaben durchgeführt (UKH, 2017; Martin-Luther-Universität, 2016). Vor dem Hintergrund, dass nur ein tatsächlich in Umsetzung befindlicher Vertrag bekannt ist, erscheint ein Wert von acht Prozent überraschend hoch. Hier könnte vermutet werden, dass die Antworten nicht (wie mit der Frage intendiert) auf Modellvorhaben gemäß § 63 Abs. 3c SGB V bezogen wurden, sondern auf alle Modellvorhaben, an denen Krankenkassen beteiligt sind.

Auch zukünftig sind auf freiwilliger Basis keine maßgeblichen Veränderungen zu erwarten. So gaben lediglich 29 Prozent der Krankenkassen an, zu planen, sich in naher Zukunft an Modellvorhaben gem. § 63 Abs. 3c SGB V beteiligen zu wollen. Mehr als zwei Drittel (71 Prozent) planen keine Beteiligung an derartigen Verträgen in naher Zukunft (vgl. Abb. 5).

Danach befragt, ob die Möglichkeiten zur Übertragung von Heilkunde zukünftig ausgeweitet werden sollten, ergab sich ein eindeutiges Bild: 90 Prozent der Befragten fanden, dass die Möglichkeiten zur Übertragung von Heilkunde ausgeweitet werden sollten, nur acht Prozent sprachen sich gegen die Möglichkeit zur Ausweitung aus (vgl. Abb. 6).

Abbildung 6

Ausweitung der Übertragung von Heilkunde

Vermutete Ursachen für die zögerliche Umsetzung von Modellvorhaben

Die Frage nach den vermuteten Ursachen für die zögerliche Umsetzung von Modellvorhaben gem. § 63 Abs. 3c SGB V ergab ein heterogenes und zum Teil überraschendes Bild (vgl. Abb. 7). Von den vorgegebenen Antwortmöglichkeiten wurden die folgenden drei Nennungen als häufigste Ursachen mit den höchsten Zustimmungsraten (‚ja‘/‚eher ja‘) vermutet:

Abbildung 7

Vermutete Ursachen für schleppende Umsetzung

„Zu hohe rechtliche Hürden“ (90 Prozent)

„Nicht praxistaugliche Regelungen im Gesetz“ (85 Prozent)

„Widerstand durch ärztliche Standesvertreter“ (84 Prozent)

Aufgrund der politischen Diskussion hätte vermutetwerden können, dass aus Sicht der Krankenkassen hohe Kosten befürchtet würden. Überraschend wurde aber genau das Kostenargument von allen Möglichkeiten am seltensten als mögliche Ursache für die langsame Umsetzung von Modellvorhaben benannt. Die folgenden drei Nennungen wurden mit den geringsten Zustimmungsraten (‚eher ja‘/‚ja‘) als Ursachen für die langsame Umsetzung von Modellvorhaben vermutet:

„Unzureichende Honorierungsregelungen“ (53 Prozent)

„Unzureichende finanzielle Anreize für Leistungserbringer“ (52 Prozent)

„Zu hohe Kosten“ (46 Prozent)

Mehr als die Hälfte der Krankenkassen (54 Prozent) befürchten nach dieser Erhebung nicht zu hohe Kosten als Ursache für die langsame Umsetzung von Modellvorhaben. Von allen vorgegebenen Antwortmöglichkeiten erhielt die mögliche Ursache „Zu hohe Kosten“ mit 46 Prozent (‚ja‘/‚eher ja‘) die geringste Zustimmung.

Diskussion

Zur Sicherstellung der Versorgung halten 94 Prozent der Krankenkassen die Übertragung von Heilkunde auf nichtärztliche Leistungserbringer für einen sinnvollen Ansatz. Sie wird von 96 Prozent der Krankenkassen als sehr wichtig empfunden. Zwar befürworten 96 Prozent der Krankenkassen grundsätzlich die Durchführung von Modellvorhaben, tatsächlich sind aber nur 8 Prozent an derartigen Verträgen beteiligt; 71 Prozent der Krankenkassen planen auch keine eigenen Modellvorhaben für die Zukunft. Insgesamt muss daher festgehalten werden, dass es bei den Krankenkassen eine deutliche Diskrepanz zwischen der grundsätzlich positiven Einstellung zu Modellvorhaben auf der einen Seite und der tatsächlichen Umsetzung von Modellvorhaben in die Praxis auf der anderen Seite gibt. Die mangelnde Bereitschaft zur Beteiligung an Modellvorhaben werden die Krankenkassen überdenken müssen, da der Gesetzgeber in dem neu formulierten § 63 Abs. 3c im Gesetzentwurf eine deutlich höhere Verbindlichkeit vorgesehen hat: Dort heißt es nun: „Die Krankenkassen und ihre Verbände sollen entsprechende Vorhaben spätestens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2020 vereinbaren oder durchführen.“ Somit erscheinen die vom Gesetzgeber vorgenommenen Veränderungen des § 63 Abs. 3c SGB V im Hinblick auf eine Förderung der Übertragung von Heilkunde absolut zielführend.

Auswirkungen des Pflegeberufereformgesetzes

Die hier präsentierten empirischen Ergebnisse decken sich weitestgehend mit der Kritik aus der Literatur zur zögerlichen Umsetzung von Modellvorhaben im Bereich der Pflege gem. § 63 Abs. 3c SGB V (SVR, 2014; Szepan, 2013a und b, 2012; Wessels, 2013; Wessels & Narbei, 2012; Siebig, 2011). Die geäußerte Kritik bezog sich in erster Linie auf erhebliche rechtliche Hürden im Gesetz und in der Heilkundeübertragungsrichtlinie des G-BA. Konkret wurden insbesondere folgende Punkte kritisiert:

Anbindung der Qualifizierung zur Heilkundeübertragung an die Ausbildung (§ 4 Abs. 7 KrPflG/AltPflG); dies führte zu einer Diskriminierung aller bereits examinierten Pflegenden.

Anbindung der Heilkundeübertragung an ein bereits vereinbartes Modellvorhaben; dies war im Hinblick auf die Heilkundeübertragung in anderen Modellvorhaben problematisch.

Vor diesem Hintergrund ist positiv zu bewerten, dass der Gesetzgeber im aktuellen Pflegeberufereformgesetz (PflBRefG) diese Kritikpunkte aufgegriffen und eine Veränderung des § 63 Abs. 3c SGB V vorgenommen hat (S. BGBl 2017/2581). So ist eine zeitlich befristete Erprobung von Ausbildungsangeboten, in Modellvorhaben, die erweiterte Kompetenzen zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten vermitteln, ausdrücklich weiterhin vorgesehen. Dazu sind zwar schulinterne Curricula und Ausbildungspläne erforderlich, die gemeinsam vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und vom Bundesministerium für Gesundheit zu genehmigen sind, jedoch kann eine Fachkommission standardisierte Module entwickeln. Diese sollen ohne Vorliegen eines vereinbarten Modellvorhabens nach § 63 Absatz 3c SGB V genehmigt werden können (S. BGBl 2017/2581). Dies könnte maßgeblich dazu beitragen, zukünftig die Inhalte im Rahmen der Fort- und Weiterbildung zu vermitteln und damit auch bereits examinierten Pflegenden zugänglich zu machen.

Aus einer berufspolitischen Perspektive der Pflegenden ist positiv zu bewerten, dass der Gesetzgeber erstmalig explizit den Pflegenden vorbehaltene Tätigkeiten zuordnet (S. BGBl 2017/2581). Dies hat zur Folge, dass beispielsweise Begutachtungen zur Festlegung der neuen Pflegegrade durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) nicht mehr von Ärztinnen oder Ärzten, sondern nur noch von Pflegenden übernommen werden dürften.

Limitationen

Als Limitation der Aussagekraft der hier präsentierten Ergebnisse muss sicherlich zuerst festgehalten werden, dass die Stichprobe der einbezogenen Krankenkassen zwar hinsichtlich Größe und Krankenkassenart eine vergleichbare Ausprägung mit der Grundgesamtheit der Verteilung aller Krankenkassen aufweist, aber nicht als repräsentativ angesehen werden kann. Trotz der fehlenden Repräsentativität kann von aussagekräftigen Ergebnissen, zumindest relevanten Tendenzen ausgegangen werden. Zusätzlich ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund des Forschungsdesigns (2. Befragungswelle in Papierform) nicht sichergestellt werden konnte, dass Fragebögen von Krankenkassen doppelt ausgefüllt worden sind. Hier ist offensichtlich, dass es bei nur sechs Ersatzkassen im Markt und bei acht ausgefüllten Fragebögen zu einer doppelten Ausfüllung gekommen sein muss. Anhand der Kassenart und der Versichertenzahl wurde überprüft, ob Fragebögen von einer Krankenkasse mehrfach ausgefüllt wurden. Da diese Angaben stets abweichend ausgefüllt wurden, kann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit geschlussfolgert werden, dass der Anteil mehrerer Fragebögen von einer Krankenkasse zwar nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, aber zumindest gering ausfallen dürfte.

Eine Analyse der Einschätzungen zwischen den verschiedenen Krankenkassenarten würde mehr Detailkenntnisse liefern, ist anhand der vorliegenden Daten aber methodisch nicht zulässig.

Fazit und Ausblick

Die vom Gesetzgeber in der aktuellen Reform durch das Pflegeberufereformgesetz (PflBRefG) vorgenommenen Änderungen zu Modellvorhaben gem. § 63 Abs. 3c SGB V sind sowohl vor dem Hintergrund der geäußerten Kritik als auch in Bezug auf die vorgestellten Befragungsergebnisse als zielführend zu bezeichnen. Auch wenn die Frist für die Vereinbarung bzw. Durchführung von Modellvorhaben mit dem 31. Dezember 2020 noch in weiter Ferne liegt, bleibt zu hoffen, dass durch diese aktuellen Änderungen die Umsetzung von Modellvorhaben vorangetrieben und beschleunigt wird.

eISSN:
2296-990X
Languages:
English, German
Publication timeframe:
Volume Open
Journal Subjects:
Medicine, Clinical Medicine, other