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Die Einheit und Fragmentierung des menschlichen Geistes. Thomas von Aquin über die evagatio mentis

   | Oct 20, 2022

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In heutigen Beschleunigungsgesellschaften werden Körper und Geist des Menschen auf eine ausserordentliche Weise beansprucht, die nicht selten zu physischen und psychischen Krankheitsverläufen führt. Medizin, Psychologie, Soziologie und Philosophie haben sich vermehrt in den letzten zwei Dekaden dieses Problems angenommen, Ursachenforschung betrieben, Diagnosen erstellt und Auswege aufgezeigt. Aufschlussreich und nicht ohne bedenkenswerte Anregung ist nun aber auch die Tatsache, dass schon Thomas von Aquin ein Phänomen aufdeckt und analysiert, das er mit der Tradition die ‘evagatio mentis’ nennt. Diese Fragmentierung des Geistes verortet der Aquinate in besonderer Weise in der menschlichen Geisteshaltung der Trägheit. Aktualisierenden Erkennungswert erreicht Thomas’ Untersuchung vor allem dann, wenn jene Zerfallsbewegung sich in mehrfacher Hinsicht des Erkennens, der Kommunikation und der inneren und äusseren Unruhe artikuliert. In neuerer Zeit haben aus philosophischer Sicht erst wieder phänomenologischexistentialistische Zugänge diesem Phänomen ihre Aufmerksamkeit geschenkt, so dass dieser Diskurs heutigentags auf vielen Feldern seine aktuelle Bedeutung und Brisanz aufzeigt.