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Recht, Staat und Krieg

   | Aug 08, 2018

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Einleitung

»das alte Österreich hat auch noch in seinen letzten Jahren und Monaten wiederholt sich als das alte Reich der verwirklichten Unwahrscheinlichkeiten erwiesen.«

Joseph Redlich, Österreichische Regierung und Verwaltung im Weltkriege, Wien 1925, S.244.

Diese tiefsinnige Bemerkung findet sich in Joseph Redlichs Studie zur österreichischen Regierung und Verwaltung im Ersten Weltkrieg. Er bezog sich auf die von Politikern vertretene deutsch-nationale Ausrichtung der Regierung unter Karl I., mit der eine Neuordnung der Monarchie unter Ausschluss von wesentlichen politischen Kräften erreicht werden sollte. Die Habsburgermonarchie war in diesen Plänen nicht mehr der bekennende Nationalitätenstaat, wie ihn der österreichische Staatsrechtler Ludwig Gumplowicz noch in den 1890er-Jahren skizziert hatte.

Vgl. Ludwig Gumplowicz, Das Oesterreichische Staatsrecht. Ein Lehr- und Handbuch, Wien 1891, S. 52.

Sie bewegte sich in Richtung einer deutschen Dominanz in Cisleithanien, wie sie vom deutschen Bündnispartner, den deutschbürgerlichen Parteien und dem Armeeoberkommando angestrebt wurde.

Vgl. Redlich, Österreichische Regierung und Verwaltung, S. 245–256; sowie Christopher Brennan, Reforming Austria-Hungary: Beyond his control or beyond his capacity? The domestic policies of Emperor Karl I., November 1916–May 1917, Unveröffentlichte Dissertation LSE London, London 2012, Kap. II.

Redlich blickte kopfschüttelnd auf die letzten Jahre der Monarchie und vergegenwärtigte sich die ›Sollbruchstellen‹ der damaligen Politik. Er war nicht vom Denkmuster des ›doomed to fail‹ bestimmt.

Ein kritischer Kommentar zu diesem Denkstil findet sich bei John Deak, »The Great War and the Forgotten Realm. The Habsburg Monarchy and the First World War«, in: Journal of Modern History 86/2 (2014), S. 336–380, hier S. 338–348.

Für ihn blieb die Habsburgermonarchie trotz des »problematischen Zeitalters« des Nationalismus maßgeblich für die Ausbildung einer neuen politischen Idee für Europa – der »frei gewollten und frei geschlossenen Vereinigung und Vereinbarung gleichberechtigter mündiger Völker.«

Joseph Redlich, Das österreichische Staats- und Reichsproblem. Geschichtliche Darstellung der inneren Politik der habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang des Reiches, Bd. 1, Leipzig 1920, S.IX.

Aus der Sicht Redlichs hatte die Monarchie ein großes Integrationspotenzial, das er mit dem Begriff der »ökonomisch-politischen Notwendigkeit« umschrieb.

Ebenda.

Eine solche Perspektive, die sich für Kohäsion und nicht für Spaltung interessiert, gewinnt in den letzten Jahren für die Forschungen zur Habsburgermonarchie, aber auch zu anderen Imperien zunehmend an Bedeutung.

»Reiche hätten nicht überdauern können, hätten sie nicht zum einen beträchtliche Kohäsionkräfte, zum anderen die Fähigkeit zur Anpassung an veränderte Umstände besessen«, wie Jürgen Osterhammel (Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2011, S. 607) aus einer vergleichenden Perspektive argumentiert.

Der amerikanische Historiker Pieter Judson ist einer dieser Forscher, der sich in seiner Neuinterpretation der Habsburgermonarchie ganz besonders für derartige Kräfte, die Zusammenhalt förderten, interessiert. Für ihn zählt dazu ganz besonders das Interesse von Männern und Frauen aus verschiedenen sozialen, ethnischen und politischen Gruppen am Fortbestand der Monarchie.

Vgl. Pieter M. Judson, The Habsburg Empire. A New History, Cambridge, Mass. 2016, bes. Kap. 7.

Andere Studien zur Habsburgermonarchie präsentieren faszinierende Einblicke in die Rolle der symbolischen Politik

Vgl. Daniel L. Unowsky, The Pomp and Politics of Patriotism. Imperial Celebrations in Habsburg Austria. 1848–1916, West Lafayette, Ind. 2005; Laurence Cole, Daniel L. Unowsky (Hg.), The Limits of Loyalty: Imperial Symbolism, Popular Allegiance, and State Patriotism in the Late Habsburg Empire, New York 2007; Maria Bucur, Nancy Wingfield (Hg.), Staging the past. The politics of commemoration in Habsburg Central Europe, 1848 to the present, West Lafayette, Ind. 2001; Werner Telesko, Kulturraum Österreich. Die Identität der Regionen in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts, Wien 2008, Kap. 5.

für den Zusammenhalt des Reiches, in die Kooperation der Länder miteinander sowie in die Zusammenarbeit von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren im Bereich der Infrastruktur.

Vgl. Jana Osterkamp, »Cooperative Empires. Provincial Initiatives in Imperial Austria«, in: Austria-History Yearbook 47 (2016), S. 128–146; Dies., »Wasser, Erde, Imperium. Eine kleine Politikgeschichte der Meliorationen in der Habsburgermonarchie«, in: Jörg Ganzenmüller, Tatjana Tönsmeyer (Hg.), Vom Vorrücken des Staates in die Fläche. Ein europäisches Phänomen des langen 19. Jahrhunderts, Köln 2016, S. 179–197.

Mit staatlichen Akteuren rückt eine Gruppe in den Blick, die lange Zeit gemeinsam mit dem Militär als die Hauptträger der Gesamtstaatsidee verstanden wurden und deren Einstellung mittlerweile einer neuen Bewertung unterzogen wird. Meine Überlegungen wollen dazu einen Beitrag leisten.

Osterhammel schreibt in der Auseinandersetzung mit Integrationsstrategien von Imperien der »elaborierten Bürokratie« eine wichtige Rolle zu.

Osterhammel, Verwandlung der Welt, S.611.

Doch hatte diese Integrationsfunktion der Bürokratie in der Habsburgermonarchie auch ihre Schattenseiten, auf die Redlich bereits hingewiesen hat. Die Verwaltung machte bis zum Ende der Monarchie nämlich einen exklusiven Deutungsanspruch geltend, der nichtstaatliche Akteure tendenziell von einer aktiven Mitgestaltung ausschloss. Redlich skizzierte diese Einstellung als

»die Auffassung nämlich, staatliche Verwaltung sei Leitung der Gesellschaft von oben her durch die bureaukratische Zentralregierung mittelst eines nach drei oder vier Instanzen gegliederten Systems von Behörden, in denen das ›Imperium‹in Österreich die ›Konzept‹ genannte Obrigkeitausschließlich juristisch gebildetenund daher vom dynastisch-bureaukratischen Staatsgedanken durchaus erfülltenBerufsbeamten zusteht, Verwaltung als hohe, mittlere und niedere Polizei, die mit Geboten und Verboten, mit Erlaubnissen und Begünstigungen das Leben des Einzelnen und der großen sozialen Interessengruppen sorgfältig umhegt, mit Verordnungen und Erlässen, mit Registern und Akten überall das ›öffentliche Interesse‹ zu sichern strebt, aber sich allein, das heißt der ›Obrigkeit‹, dem Berufsbeamtentum, die Fähigkeiten und das Recht vorbehält, festzustellen, was als öffentliches Interesse anzuerkennen ist …«

Redlich, Staats- und Reichsproblem, S.447 f.; in seinen Tagebuchaufzeichnungen machte er eine ähnliche Bemerkung anlässlich der Ermordung von Ministerpräsident Graf Stürgkh: Fritz Fellner, Doris A. Corradini (Hg.), Schicksalsjahre Österreichs. Die Erinnerungen und Tagebücher Josef Redlich. 1869–1936, Bd. 2, Wien 2011, S.217.

Diese Charakterisierung muss in einer Hinsicht relativiert werden. Redlich stellte einen Kurzschluss her zwischen juristischer Ausbildung und einer am Monarchen und der Gesamtstaatsidee orientierten Einstellung, zwischen Amt und Loyalität, zwischen Treueid und opferwilliger Dienstauffassung. Dafür finden sich zwar Belege in der Belletristik,

Vgl. dazu den Beitrag von Burkhardt Wolf in diesem Band.

doch folgten die Konzeptbeamten in den zahlreichen k.k. Behörden dieser Logik keineswegs immer. Betrachtet man die Einstellung und das Verhalten der Beamten nicht durch die Brille politischer Verklärung, erhält man einen höchst differenzierten Eindruck von Handlungsmöglichkeiten, Selbstverständnis und Dienstauffassung. Dann tritt etwa die Politisierung der Beamtenschaft in den Blick,

Vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Karl Megner, Beamte. Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Aspekte des k. k. Beamtentums, Wien 1985, S. 195–213.

die von den Subalternbeamten ihren Ausgang nahm und in enger Verbindung mit dem Aufstieg der Massenparteien und deren Einfluss auf die Besetzung von Beamtenstellen stand.

Waltraud Heindl, Josephinische Mandarine. Bürokratie und Beamte in Österreich, Bd. 2: 1848 bis 1914, Wien 2013, S. 101 f., S. 103 f., S. 107, S.113 f.; Megner, Beamte, S. 253.

Diese Politisierung machte selbst vor den höchsten Ebenen der Ministerialverwaltung nicht Halt. Das hat Friedrich Kleinwaechter, ›Präsidialist‹ (Mitarbeiter im Präsidialbüro) des Finanzministeriums in seinem autobiografisch angehauchten Roman direkt angesprochen:

»Die polnischen und tschechischen Beamten der Ministerien hielten untereinander und mit ihren Abgeordneten Fühlung. Sie informierten ihre Vertreter und fanden dafür auch bei ihnen immer Schutz und Hilfe.«

Friedrich F. G. Kleinwaechter, Der fröhliche Präsidialist, Zürich 1955, S. 104.

Die zunehmende Politisierung der Beamten führte zu Gegenmaßnahmen der Regierung. Auf kaiserlichen Wunsch mahnte Kielmansegg als Leiter einer Übergangsregierung im Jahr 1895 politische Enthaltsamkeit ein. In einer Direktive, die im nichtamtlichen Teil der Wiener Zeitung veröffentlicht wurde, untersagte er den Beamten jede öffentliche Parteinahme in politischen Fragen, weil diese mit ihrer »nothwendigen Objectivität« nicht vereinbar wäre.

Wiener Zeitung 11.08.1995, 1-2, S.2.

Die politischen Rechte der Beamten als Bürger des Staates wurden anerkannt; ihre Ausübung war laut Kielmansegg durch die »besonderen Pflichten«, denen sich die Beamten freiwillig durch die Annahme eines Amtes und die Anlegung eines Diensteides unterworfen hatten, beschränkt.

Wiener Zeitung 11.08.1995, 1–2, S.1; Vgl. John Deak, Forging a Multinational State. State Making in Imperial Austria from the Enlightenment to the First World War, Stanford 2015, S. 221; Heindl, Josephinische Mandarine, S. 102.

Die Gewährung von politischen Rechten und deren Einschränkung, die Unterwerfung zunehmend politisierter Beamter unter die politische Deutungshoheit der vorgesetzten Stellen, das Vertrauen auf die exklusive Kompetenz der Behörden zur Vertretung des Gemeinwohls selbst gegenüber einer hochkomplexen modernen Gesellschaft – all das kann man in Anlehnung an die eingangs zitierte Bemerkung von Redlich als verwirklichte Unwahrscheinlichkeiten verstehen. In meinem Beitrag werde ich das heuristische Potenzial von Redlichs ironischer Stellungnahme dazu nutzen, mit dem Rechtsstaat einen weiteren Integrationsfaktor in den Blick zu nehmen. Das Nebeneinander von Rechtsstaatlichkeit und Ausnahmezustand in der Zeit des Ersten Weltkriegs werde ich als eine weitere verwirklichte Unwahrscheinlichkeit analysieren – ebenso wie das desintegrative Potenzial der Verrechtlichung des Beamtendienstverhältnisses.

Der Dialog zwischen einer kulturwissenschaftlich orientierten Geschichte mit einer Verwaltungsgeschichte, die sich für Praxisformen, Handlungsspielräume und Denkstile der Behörden und ihrer Beamten interessiert, vermittelt neue Einblicke in die spannungsvolle Beziehung zwischen Staat, Staatsdiener und Gesellschaft in der Zeit des Ersten Weltkriegs. Dies trägt zu einem besseren Verständnis der Delegitimation von Kaiser und Monarchie bei, die ja im gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben durch die Handlungen und Unterlassungen der Beamten präsent waren. Das Versagen der Verwaltung in der Versorgung der Bevölkerung und die bekannten Übergriffe gegen weitgehend entrechtete Bürgerinnen und Bürger finden sich in der Literatur über die gesellschaftlichen Auswirkungen des Krieges immer wieder. Ich werde diese offensichtlich desintegrativen Folgen staatlichen Handelns anhand von Fallbeispielen (Weiß und Klebkowska) im zweiten Teil diskutieren, wobei ich mich auf die Verhandlungen vor dem Reichsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof stützen werde. Hier kommt dem Recht eine integrative Funktion zu, die durch ein selbstherrliches Ausschalten von Verfahrensnormen seitens der Verwaltung und ihrer Mitarbeiter unterlaufen wurde. Im ersten und dritten Teil meines Beitrags analysiere ich dagegen die desintegrative Rolle der Verrechtlichung von Beamtendienstverhältnissen. Ich stütze mich dabei ebenfalls auf Verhandlungen vor dem Reichsgericht (Kubitschek und Gürtler).

Die Verhandlungen vor dem Reichsgericht stellen einen ausgezeichneten Beobachtungspunkt für meine Analyse bereit. Ich verwende sie als ›Mitschriften‹,

Vgl. zu dem Konzept der Mitschrift als einer ›kopräsenten Begleitung‹ der Bürokratie durch die Literatur Kerstin Stüssel, In Vertretung. Literarische Mitschriften von Bürokratie zwischen früher Neuzeit und Gegenwart, Tübingen 2004, S. 23–36.

in denen unterschiedliche Vorstellungen vom Staat nicht in theoretischer Reflexion, sondern im Hinblick auf konkrete administrative Sachverhalte dokumentiert sind: Die Kläger präsentierten sorgfältig stilisierte Geschichten von Übergriffen der Verwaltung oder von Ansprüchen an den Staat; die Ministerien brachten in Gegenschriften ihr eigenes Verständnis von einem angemessenen administrativen Handeln vor. Und die Stimmführer, so die Bezeichnung der stimmberechtigten Mitglieder des Reichsgerichts, sahen sich unter besonderen Umständen – wie etwa im Fall Kubitschek – dazu genötigt, den exklusiven Fokus auf juristische Bezüge aufzugeben und ihre persönlichen Vorstellungen vom Staat und seinem Handeln zu artikulieren. Diese ›Mitschriften‹ sind Zeugen von verwirklichten Unwahrscheinlichkeiten im Bereich der Kriegswirtschaft, der Grundrechtssicherung und der Dienstverhältnisse von Beamten. Sie geben Auskunft über das gewollte sowie über das nicht intendierte Neben- und Miteinander von gegensätzlichen Steuerungsimpulsen: Die zwangsweise Verpflichtung zur Produktion erschien eingebunden in ein Rechtsverhältnis mit Analogien zum privatrechtlichen Vertrag, der Schutz der nicht aufgehobenen Grundrechte scheiterte an einer neuen Kultur der Maßnahmen und des Dezisionismus auf unterster Ebene, die Verrechtlichung der Dienstverhältnisse ersetzte letztlich die kaiserliche Gnade durch den Rechtsweg mit erheblichen Folgen für die Loyalität der Beamten.

Der Fall Kubitschek: Recht statt Gnade

»Ist der Beamte nur verpflichtet, den Dienst nach dem von ihm geglaubten Wortlaute der Dienstpragmatik zu leisten, oder ist es ein Treueverhältnis?«

Stellungnahme des Stimmführers Friedrich Freiherr von Call während der nicht-öffentlichen Sitzung des Reichsgerichts vom 11.05.1916, AT-OeStA/AVA Justiz RG A 117, f. 24.

Die Stellung der Beamten zu Staat und Kaiser war vor dem Beginn des Krieges in Bewegung geraten. Die Ausweitung der Staatstätigkeit, die Bildung von Interessensvertretungen durch die Beamten, das zunehmende Engagement der politischen Parteien für diese Wählergruppe veränderten die Spielregeln. Auf einer rein formalen Ebene bestand zwar weiterhin das persönliche Loyalitätsverhältnis zum Kaiser, wie es im Treueid beschworen wurde.

Vgl. dazu Manfred Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914-1918, Wien 2013, S. 157.

An die Stelle »der alten unbedingten Disziplin und Obödienzpflicht des österreichischen Beamten« trat mit der Verrechtlichung des Beamtenverhältnisses jedoch ein wechselseitiges System von Rechten und Pflichten, das mit der Dienstpragmatik vom 25. Januar 1914 abschließend kodifiziert wurde.

Redlich, Österreichs Regierung und Verwaltung, S. 290.

Dieses Gesetzeswerk fand wenig Anerkennung beim Thronfolger, der den politischen Ambitionen und partikularen Interessen der österreichischen Beamten ablehnend gegenüberstand.

Vgl. John W. Boyer, Culture and Political Crisis in Vienna. Christian Socialism in Power. 1897–1918, Chicago 1995, S.342.

Für ihn war die Verrechtlichung ein falsches Signal an die Staatsdiener, weil dadurch das Dienstverhältnis als ein »Abkommen zwischen den Arbeitnehmern, den Staatsdienern und dem Arbeitgeber, dem Staat« mißverstanden werden konnte.

Heindl, Josephinische Mandarine, S. 141; vgl. dazu auch Megner, Beamte, S. 134–142.

Die eingangs zitierte Bemerkung von Friedrich von Call, die er als Stimmführer während einer Sitzung des Reichsgerichts gemacht hatte, hätte den Thronfolger in seinen schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Denn hier wurde von einem Hüter der österreichischen Verfassung die grundsätzliche Möglichkeit in den Raum gestellt, dass sich die Beziehung zwischen den Beamten und dem Staat beziehungsweise dem Kaiser auf ein reines Vertragsverhältnis reduzieren lasse. Das hätte nicht nur dem konservativen Weltbild von Erzherzog Franz Ferdinand, sondern ebenso dem staatsrechtlichen Denken dieser Zeit widersprochen. Das Verhältnis zwischen Beamten und Staat war auch für die Juristen

»kein einfaches Vertragsverhältniß, kein Dienstverhältniß im Sinne des PrivatrechtsMan bezeichnet dieses Verhältniß als ein Verhältniß des öffentlichen RechtsEs ist mitnichten ein Arbeitsvertrag, den er (der Beamte, pb) schließt; nicht bloß eine zeitlich und sachlich beschränkte und umschriebene Arbeit hat er zu leisten; sondern dem Interesse des Staates sich hinzugeben𠄼 Daraus folgte für Ludwig Gumplowicz in der Fortsetzung seines Arguments, dass die »Besoldung des Beamten nicht mit einem Arbeitslohn zu vergleichen [ist].«

Gumplowicz, Österreichisches Staatsrecht, S.186; die zeitgenössische Debatte über den Rechtscharakter des Dienstverhältnisses findet sich kurz zusammengefasst bei Max Layer, »Staatsdienst«, in: Ernst Mischler, Josef Ulbrich (Hg.), Österreichisches Staatswörterbuch. Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen Rechtes, Bd. 4, Wien 1909, S.314–363, hier S.316; die Diskussion über das Beamtenverhältnis als einem besonderen Treueverhältnis dauert bis heute an. Vgl. dazu Gerard Braunthal, Political loyalty and public service in West Germany. The 1972 decree against radicals and its consequences, Amherst 1990, bes. Kap. 1–3.

Unter den Bedingungen des Krieges war die Vorstellung vom Dienstverhältnis der Beamten als einem Vertragsverhältnis umso irritierender. Der Erste Weltkrieg war zu Beginn mit großem Optimismus verbunden und hatte weitreichende Folgen für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Anforderungen an die Staatsverwaltung stiegen, der Zugriff des Staates auf die Bevölkerung und ihre Ressourcen wurde verstärkt und die Einspruchsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger gegen die Übergriffe der zivilen und militärischen Verwaltung verringert. Das konfrontierte die Beamten mit erhöhten Erwartungen an ihre Arbeitsleistung, ihre Loyalität und ihre Identifikation mit den politischen Zielen von Regierung und Armeeführung. Gleichzeitig waren die Mitarbeiter der staatlichen und kommunalen Verwaltung mit einer Vielzahl von politischen Akteuren und Bevölkerungsgruppen konfrontiert, die ihre Hoffnungen auf weitreichende Veränderungen setzten und dafür Unterstützung suchten. Bereits der Krieg selbst und nicht erst dessen siegreiches Ende wurde zum Hoffnungsträger für höchst widersprüchliche politische Ziele: Rücknahme wie Vertiefung der Demokratisierung, Föderalismus wie Zentralisierung, Festschreiben der deutschen Dominanz in Cisleithanien, um nur einige zu nennen.

Vgl. Judson, Habsburg Empire, S.385 f.; zu den Forderungen des deutschen Nationalverbandes vgl. Brennan, Reforming Austria-Hungary, S. 68–77.

Regierung und Kaiser waren weit davon entfernt, diese Annahmen zu erfüllen. Auch die wiederholt erhobenen Forderungen des Generalstabs nach einer militärischen Übernahme ziviler Autorität in Böhmen, wie das ja bereits in Bosnien, Herzegowina, Dalmatien, Galizien, Bukowina und Teilen Mährens geschehen war, sowie nach einer Ausweitung der Militärgerichtsbarkeit wurden vom Kaiser immer wieder abgelehnt.

Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg, Kap. 7; zur Übernahme der Zivilverwaltung durch das Militär vgl. die Darstellung von Brennan, Reforming Austria-Hungary, S.49–57 sowie Walter Mentzel, »Kriegserfahrung von Flüchtlingen aus dem Nordosten der Monarchie während des Ersten Weltkrieges«, in: Bernhard Bachinger, Wolfram Dornik (Hg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten. Erfahrung – Wahrnehmung – Kontext, Innsbruck 2013, S. 359–390, bes. S.365–376.

Im Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft war das hässliche Gesicht des Krieges allgegenwärtig in Gestalt von vielfältigen Opfern, die den Menschen abverlangt wurden: der Einsatz des Körpers und des Lebens bei den Soldaten, der Verlust von wesentlichen bürgerlichen Freiheiten, die Unterwerfung unter ein diktatorisches Regime und die strikte Disziplin am Arbeitsplatz sowie Hunger und Kälte aufgrund mangelnder Versorgung mit Nahrung und Energieträgern.

Zur Handlungslogik der Kriegsregierung und ihrer Verwaltungstätigkeit vgl. Redlich, Österreichische Regierung und Verwaltung, Kap. IV und V; zum Umbau des Staates während des Krieges und zu den Bewältigungsstrategien der Bevölkerung vgl. Judson, Habsburg Empire, S.391–415; zur Lage der Bevölkerung und der Reaktion von Frauen vgl. Maureen Healy, Vienna and the Fall of the Habsburg Empire. Total War and Everyday Life in World War I, Cambridge 2004, bes. Kap. 1, 3 und 4; zu den Folgen des Totalen Kriegs auf Wirtschaft und Gesellschaft vgl. Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg, Kap. 6.

Die ironisch anmutende Bemerkung von der »Sache für die wir ausgezogen wurden …«, die Karl Kraus in seinen Letzten Tagen der Menschheit einem Wiener in den Mund gelegt hatte, sollte bald weithin geteilte Erfahrung werden.

Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit, I. Akt, 1. Szene.

Die Krise des Staates, die sich während der Kriegshandlungen immer mehr zuspitzte, war nicht unausweichlich. Im Gegensatz zu lange ungefragt tradierten Vorstellungen von der Habsburgermonarchie als Zwangsanstalt oder wenigstens als Anachronismus, die im Krieg untergehen musste,

Vgl. dazu auch die kritische Auseinandersetzung mit traditionellen Narrativen vom notwendigen Untergang der Monarchie bei Deak, »The Great War«, S. 340–364.

setzt die aktuelle Forschung auf alternative Deutungen.

Bereits John Boyer forderte zu einem Perspektivenwechsel auf: »the important fact about the monarchy before 1918 was not that it fell apart, but that it proved capable of surviving so long.« (John Boyer, Political Radicalism in late Imperial Vienna. Origins of the Christian Social Movement 1848–1897, Chicago 1981, S. XIV.)

Judson und Deak sehen den Krieg letztlich als eine Kehrtwende, die der zunehmenden Akzeptanz des Staates ein Ende setzte, nachdem dieser sich erfolgreich durch Leistungen, soziale Absicherung und verbesserte Infrastruktur stärker mit dem Leben und Handeln der österreichischen Bevölkerung verbunden hatte.

Judson, Habsburg Empire, S. 389 f.; Deak, »The Great War«, S. 358, S. 373, S. 378; vgl. dazu auch die Bemerkungen von Redlich zur »unseligen politischen Aktion des Oberkommandos«, das aus seiner Sicht das Gefüge der Monarchie »zersetzt« hätte: Redlich, Österreichische Regierung und Verwaltung, S.116.

Die Versorgungskrise trug wesentlich zum Einbruch der Loyalität bei, weil die Bürgerinnen und Bürger in einer Art ›new social contract‹ Versorgungssicherheit im Tausch gegen ihre Opfer forderten, wie Judson pointiert formuliert.

Judson, Habsburg Empire, S.405; vgl. dazu auch Healy, Vienna and the Fall of the Habsburg Empire, Kap. 1.

Dieser Umschwung in der Haltung der Bevölkerung zu Regierung und Dynastie war jedoch nicht allein der Versorgungskrise geschuldet. Ebenso verantwortlich war die veränderte Einstellung der Regierung, die im Zeichen der Kriegsdiktatur von einer kooperativen zu einer rein dirigistischen Haltung im Umgang mit der Bevölkerung überging und dabei, wie Josef Redlich beobachtete, »den lebendigen Kontakt mit den gesellschaftlich-politischen Kräften der Bevölkerung mehr und mehr verlor.«

Redlich, Österreichs Regierung und Verwaltung, S. 153; zur kooperativen Haltung vgl. die Bemerkung von John Boyer, der den Staat der Habsburgermonarchie als »broker and mediator« charakterisiert: John Boyer, »Some Reflections on the Problem of Austria, German, and Mitteleuropa«, in: Central European History 22 (1989), S. 301–315, hier S.311; zum Prinzip der kooperativen Realisierung von Infrastrukturprojekten vgl. Osterkamp, »Wasser, Erde, Imperium«, S. 179–197.

Das parlamentarische System auf Reichs- und Länderebene wurde suspendiert, die leitenden Funktionäre der Verwaltung auf einen traditionellen Verhaltensmodus eingeschworen. Liest man das Rundschreiben von Ministerpräsident Graf Stürgkh an die Landeschefs vom 26. Juli 1914, so sind die Ähnlichkeiten zum ›Hirtenbrief‹ Alexander Bachs aus dem Jahr 1849 unverkennbar. In beiden dominiert die Denkfigur von einer benevolenten Autorität, die väterlich fürsorglich die Untertanen zur Mitwirkung an den Maßnahmen der Regierung anleiten sollte. Selbstständige Initiative von nichtamtlicher Seite war dabei nicht vorgesehen.

Vgl. zum Rundschreiben von Ministerpräsident Stürgkh vgl. Deak, »The Great War«, S.374; er hat an anderer Stelle (S.364) darauf hingewiesen, dass sich die Militärführung vom gesellschaftlichen und politischen Wandel der Jahrzehnte vor dem Beginn des Krieges abgekoppelt hatte. Die antiquierte Vorstellung von der Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft dominierte aus seiner Sicht die Organisation der Heimatfront – und drückte sich, wie man in Fortführung dieses Gedankens argumentieren kann – auch in dem Rundschreiben des Ministerpräsidenten aus. Die Monopolisierung von Initiative und Entscheidungsgewalt durch die staatlichen Organe hatte zur Folge, dass die Verantwortung für Missstände ausschließlich die Regierung tragen musste: vgl. dazu Judson, Habsburg Empire, S. 393.

Die Beamten spielten in dieser Vorstellung von Kriegsregierung eine zentrale Rolle. Sie standen für Stabilität, sollten Ressourcen für die Bedürfnisse der Kriegsführung bereitstellen und die Erwartungen der Militärs an eine disziplinierte und entpolitisierte Heimatfront erfüllen. Wie kamen die Beamten mit diesen Anforderungen zurecht? Es gibt anekdotische Berichte von Beamten selbst, wie etwa von Kleinwaechter, dem bereits erwähnten Mitarbeiter des Finanzministeriums, in denen ihre Opferbereitschaft hervorgehoben wurde:

»Manchmal kam eine Müdigkeit über mich, daß ich glaubte, beim Schreibtisch einschlafen zu müssen. Einmal bin ich auch tatsächlich eingeschlafen. Aber wenn die anderen im Schützengraben liegen, ist nichts dabei, wenn mich am Schreibtisch der Schlag trifft. Es ist eben Krieg.«

Kleinwaechter, Präsidialist, S. 144.

Aufopferung am Schreibtisch, Anständigkeit, Pflichttreue, eiserner Fleiß und fachliche Tüchtigkeit waren einige der Maßnahmen, mit denen sich die Beamten den Herausforderungen des Kriegs an die Staatsverwaltung stellten.

Redlich, Österreichs Regierung und Verwaltung, S.151 f.

Darin drückte sich eine Identifikation mit ihrer Aufgabe aus, die weit über die Erfüllung vertraglich bestimmter Leistungen hinausging.

Weshalb stellte sich dem Reichsgericht die Frage nach dem Verhältnis zwischen Beamten und Staat in der oben zitierten Form? In den Verhandlungen des Reichsgerichts waren ethische und politische Aspekte eines Falls in der Regel nur als Subtext präsent. Den Stimmführern in diesem exklusiven Gremium war durchaus bewusst, dass sie sich nicht in einem Debattierklub befanden und deshalb ihre Einlassungen auf die juristische Einschätzung eines Sachverhaltes zu beschränken hatten. Indem sie Sachfragen in höchst kompetenter Form als Rechtsfragen behandelten, konnten sie verfassungsmäßig garantierte Rechte schützen und als letzte Instanz über Ansprüche an den Staat und Kompetenzkonflikte entscheiden.

Franz Hauke, »Zusatz zum Art. Rechtsschutz im öffentlichen Recht«, in: Ernst Mischler, Josef Ulbrich (Hg.), Österreichisches Staatswörterbuch. Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen Rechtes, Bd. 4, Wien 1909, S.51–53, hier S. 51; vgl. dazu Friedrich Lehne, »Rechtsschutz im öffentlichen Recht: Staatsgerichtshof, Reichsgericht, Verwaltungsgerichtshof«, in: Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hg.), Verwaltung und Rechtswesen. Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 2, Wien 1975, S.663–716, hier S.684; das Gesetzesprüfungsrecht des Verfassungsgerichtshofes wurde erst im Bundes-Verfassungsgesetz von 1920 verankert. Vor dem Reichsgericht als Grundrechtsgerichtshof der Monarchie konnten somit Erlässe und Verordnungen der Regierung als solche nicht beeinsprucht werden: vgl. dazu Gerald Stourzh, »Verfassungsgerichtsbarkeit und Grundrechtsdemokratie – die historischen Wurzeln« (1991), in: Ders., Der Umfang der österreichischen Geschichte. Ausgewählte Studien 1990–2010, Wien 2011, S. 157–179, hier S. 169–172.

Die Stimmführer bezogen sich in ihren Einlassungen fast ausschließlich auf Gesetze und Verordnungen seit dem 18. Jahrhundert sowie auf normative Regelungen aus dem europäischen Ausland. Nur selten war die Irritation durch den spezifischen Sachverhalt stark genug, um nichtjuristischen – ethischen und/oder politischen – Aspekten eines Falls Eingang in diese hehre Welt juristischer Abstraktionen zu erlauben.

Die Klage des k.k. Steuerassistenten Gustav Kubitschek aus dem nordböhmischen Brüx/Most gegen das Finanzministerium war ein Sachverhalt, der zum Eindringen ethischer und politischer Überlegungen in das an sich operativ geschlossene, wenn auch nicht abgeschlossene juristische Referenzsystem führte.

Zur Geschlossenheit des Rechtssystems aus systemtheoretischer Perspektive vgl. Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S.43; vgl. zum systemtheoretisch orientierten Rechtsbegriff: Gunther Teubner, Recht als autopoietisches System, Frankfurt am Main 1989, Kap. 2.

Die am 4. Dezember 1915 beim Reichsgericht eingebrachte Klage erscheint auf den ersten Blick harmlos. Kubitschek wollte nur die Erstattung von Reisekosten vom Urlaubszum Dienstort in Höhe von 40 K 41h durchsetzen und begründete seinen Anspruch mit Bezugnahme auf §43 Dienstpragmatik (DP): »Für die durch eine unvorhergesehene Rückberufung vom Urlaub verursachten Reisen werden die normalmäßigen Reisekosten vergütet.« Der Kläger war von seinem Dienstort am Abend des 25. Juli zum wohlverdienten Erholungsurlaub an seinen etwa 300 Kilometer entfernten Heimatort in der Nähe von Landskron/Lanškroun aufgebrochen, wurde von dort allerdings drei Tage später telegrafisch zur Rückkehr an seinen Arbeitsplatz einberufen. Am 29. Juli machte er sich erneut auf den Weg und trat einen Tag später wieder seinen Dienst an. Er nutzte den Arbeitsbeginn zum vollständigen Ausfüllen des Reisepartikulars, das er an die zuständige Stelle einreichte. Das Rechnungsdepartment der Finanzlandesdirektion akzeptierte seine Ansprüche, reduzierte die von ihm geltend gemachten Reisekosten von 141 K 42h auf weniger als ein Drittel und zahlte 40K 41h durch die Postsparkasse aus. Etwa einen Monat später widerrief diese Behörde ihre Entscheidung und forderte mit Verweis auf einen nachträglich publizierten Erlass des Finanzministeriums vom 31. August 1914 den bereits ausbezahlten Betrag zurück.

RGE 1916, Nr. 2245, S.302 f.

Die Irritation ging vom Anlass des Rückrufs aus: dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Das Finanzministerium betonte in seiner Gegenschrift, dass es Grenzen für die Rechtsansprüche der Beamten gebe. Die Ausnahmesituation hätte das Ministerium Ende August dazu genötigt, eine »Auslegung der einschlägigen in der Dienstpragmatik festgelegten gesetzlichen Bestimmungen« vorzunehmen. Der leitende Gedanke war dabei die notwendige »Unterordnung der Einzelinteressen unter das Gesamtinteresse«.

RGE 1916, Nr. 2245, S.306.

Das Ministerium bezog sich explizit auf die Bestimmungen der Dienstpragmatik, die im §21 den Beamten dazu verpflichtete, »dem Kaiser treu und gehorsam zu sein … Er hat sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen … jederzeit auf die Wahrung der öffentlichen Interessen bedacht zu sein …«

Der Erlass des Finanzministeriums war offensichtlich notwendig, um eine vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Kostenlawine einzudämmen. Die Kriegserklärung an Serbien erfolgte in einer Zeit, die von vielen Beamten für ihren durch die Dienstpragmatik gesetzlich geregelten Erholungsurlaub

Vgl. Megner, Beamte, S. 142.

genutzt wurde. Das erweiterte den Kreis der Anspruchsberechtigten für Leistungen, die nur für besondere Einzelfälle vorgesehen waren, und machte daher die Bestimmungen des §43 DP zu einem finanziellen Problem für die Staatsverwaltung.

In der Verhandlung vor dem Reichsgericht wurde dieser Aspekt explizit von Stimmführer Karl Ritter v. Feistmantel angesprochen. Er sah den nachträglichen Erlass des Finanzministeriums als Problem: Nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 11.05.1916, f. 25.

Zur Abwehr dieser Ansprüche verwies das Ministerium auf die Verpflichtung der Beamten, die öffentlichen Interessen zu wahren. Außerdem wäre eine Rückberufung bei einer Mobilisierung im Kriegsfall nicht unvorhergesehen, weil »der Beamte, der nicht in strenger Auffassung seiner Dienstpflicht freiwillig seinen Urlaub abbricht … jeden Augenblick seine Rückberufung vom Urlaube gewärtigen [müsse].«

RGE 1916, Nr. 2245, S.307.

Der Steuerassistent Kubitschek hatte offenbar damit gerechnet, dass das Ministerium die Loyalitätskarte spielen würde. Er präsentierte sich deshalb in seiner Klageschrift als besonders engagierter und pflichtbewusster Beamter, der durchaus bereit war, für den Dienst seine Opfer zu bringen. Er hätte durch seinen Diensteifer dem Staat mehr als 2000 K für die Besetzung vorübergehend frei gewordener Stellen erspart. Seine Überarbeitung hätte zu einer Erkrankung geführt, wobei die Kosten für die Wiederherstellung seiner Gesundheit von ihm selbst getragen wurden.

RGE 1916, Nr. 2245, S.305.

Vor dem Reichsgericht erschien somit ein treuer, opferwilliger Diener des Staates, der nur die ihm vertraglich zugesicherten Leistungen einforderte.

Die Diskussion über den Fall Kubitschek spitzte sich rasch auf die Frage zu, wie viel Patriotismus als ethische Pflicht von einem Beamten zu erwarten war und ob das Reichsgericht eine moralische Verpflichtung zur Grundlage seiner Entscheidung machen dürfe? Robert Pattai optierte als Referent für eine Selbstbeschränkung des Reichsgerichts. Es dürfe nicht auf »patriotische Pflicht« rekurrieren, sondern sich ausschließlich mit der Frage nach dem Recht des Beamten auf Ersatz von Reisekosten auf der Grundlage von §43 DP befassen.

Nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 11.05.1916, f. 25.

Pattai erhielt Unterstützung durch den Reichsratsabgeordneten Julius Ofner, der als Ersatzmann an der Sitzung teilnahm. Für Ofner bestand die große Herausforderung darin, zwischen ethischen und rechtlichen Pflichten zu unterscheiden. Aus seiner Sicht könne man dem Beamten das Recht auf Ersatz seiner Mehrkosten nicht verweigern, »weil er das Recht nicht geltend gemacht hätte, wenn er noch ethischer gewesen wäre. Der Zurückberufung liegen Dienstes-Rücksichten zu Grunde. Daher habe der Beamte das Recht auf Ersatz, wenn es auch seine patriotische Pflicht gewesen wäre, darauf zu verzichten.« In seiner Argumentation war Ofner nicht ganz konsistent: Einerseits deutete er an, dass der Beamte »schmutzig« handle, wenn er ein solches Recht einklage. Andererseits sah er die kleinen Beamten als »die eigentlichen Märtyrer des Krieges … Die 40K seien für den Kläger heute ein Vermögen.«

Nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 11.05.1916, f. 26.

Die anderen Stimmführer stellten sich außerhalb des rechtlichen Reflexionsrahmens, der für die Reichsratssitzungen eigentlich verbindlich war, und wandten politisch-ethische Vorstellungen auf den konkreten Fall des Kubitschek an. So erwartete der ehemalige Statthalter Leo Graf Pininski von den Beamten, dass sie ebenso wie die Bevölkerung im Kriegsfall Opfer bringen würden. Aus seiner Sicht müsse man eigentlich annehmen, dass jeder Beamte im Fall einer Kriegserklärung freiwillig auf seinen Posten zurückkehren würde. Call sah sogar eine unfaire Bevorzugung der »saumseligen Beamten« für den Fall, dass das Reichsgericht der Klage von Kubitschek stattgeben würde.

Nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 11.05.1916, f. 24.

Das Treueverhältnis der Beamten zum Staat, das laut dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Innsbruck, Friedrich Call, »nicht durch zu weit gehende Juristerei verdunkelt werden« dürfe,

Nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 11.05.1916, f. 24.

stellte den hauptsächlichen Bezugspunkt für die Einschätzung der Klage bereit. Das führte die Stimmführer auf schwieriges Gelände, weil die Treuepflicht der Beamten ein deutungsoffenes Konstrukt war. Niemand stellte die Treuepflicht des Beamten gegen Staat und Kaiser infrage. Welche Handlungen mit dieser Pflicht verbunden waren, war weder juristisch noch politisch eindeutig zu fassen. Max Layer, Professor für öffentliches Recht an der Universität Graz und ehemaliger Mitarbeiter der Statthalterei, bezog in seinem Beitrag zum Österreichischen Staatswörterbuch die Treue als Rechtspflicht auf die »Pflicht zur gewissenhaften Amtsführung«, auf die »persönliche Treuepflicht gegenüber dem Monarchen« und auf die Amtsverschwiegenheit.

Layer, »Staatsdienst«, 321.

Keine dieser drei Dimensionen der Treuepflicht schloss die Durchsetzung von Ansprüchen aus, die den Beamten in der Dienstpragmatik verbindlich zugesichert waren. Deshalb verlagerte sich die Diskussion über die Ablehnung von Kubitscheks Anspruch auf eine neue Lektüre dieser Vorschrift. So unterstellte ihr der Stimmführer Johann Zácék, dass sie »gewiss nicht dieses Recht [habe] erteilen wollen.«

Nicht-öffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 11.05.1916, f. 25.

In der Urteilsbegründung wurde dieser Gedanke fortgeführt, indem die Unterscheidung zwischen dienstlichen Rücksichten und den sogenannten höherstehenden Rücksichten hervorgehoben wurde. Da die Mobilisierung im Kriegsfall zu der zweiten Kategorie zählte, war die dadurch erforderte Rückkehr der Beamten in ihrer allgemeinen Pflicht zur Wahrung der öffentlichen Interessen begründet. Aus diesem Grund lag aus der Sicht des Reichsgerichts kein Anspruch auf Rückerstattung der Reisekosten vor.

Die Urteilsbegründung bezog sich auf die juristische, die Debatte jedoch auf die ethische und politische Dimension dieses Falls. Die Forderung des Klägers war von den Stimmführern einhellig als Folge mangelnden Patriotismus aufgefasst worden. Auf das damit verbundene politische Problem wies Friedrich Call hin, wenn er der bedenklichen politischen Gesinnung eines Beamten aus Böhmen die gegenteilige Einstellung der Tiroler Beamtenschaft gegenüberstellte: »… zur Ehre der Tiroler müsse konstatiert werden, daß nicht ein einziger Fall vorgekommen ist, daß von Beamten aus Anlass des Urlaubes Ersatzanspruch gestellt wurde.«

Bemerkung des Stimmführers Friedrich Freiherr von Call während der nichtöffentlichen Sitzung des Reichsgerichts vom 11.05.1916, f. 24.

Call brachte damit eine Lesart der Klage von Kubitschek ins Spiel, die den tschechischen Beamten eine fehlende Identifikation mit Kaiser und Monarchie unterstellte.

Eine solche Auffassung bestimmte auch die bereits im Jahr 1915 erhobenen Forderungen der Militärführung nach einer durchgehenden Säuberung des Staatsdienstes, um die nationale Spaltung der Beamtenschaft zu überwinden: vgl. dazu Brennan, Reforming Austria-Hungary, S. 57 f.

Die intensive Debatte über Fragen von Loyalität und Patriotismus von Beamten in der Sitzung des Reichsgerichts vom 11. Mai 1916 eröffnet eine neue Perspektive auf ein Thema, das bereits häufig diskutiert wurde: Welche Auswirkungen hatten die zunehmende Politisierung der Beamtenschaft im Rahmen gewerkschaftlicher Organisation und der Einfluss nationalistischer Parteien auf die Rekrutierung der lokalen Beamten? Wie sehr konnten sich Kaiser und Regierung auf das Bekenntnis zum Gesamtstaat bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der staatlichen und autonomen Behörden verlassen? Joseph Redlich sah deutliche Bruchlinien entlang nationaler Zugehörigkeiten innerhalb der Bürokratie und ein langsames Abrücken von der Gesamtstaatsidee.

Redlich, Österreichs Regierung und Verwaltung, S. 289–292.

Waltraud Heindl, die beste Kennerin des Verwaltungssystems der Habsburgermonarchie, verweist darauf, dass das Verhältnis zur Krone vor allem für diejenigen Beamten schwierig war, »die politisch partizipieren und mitgestalten wollten …« Gleichzeitig stellt sie jedoch bei den Beamten ein komplexes Gemengelage von Loyalitäten fest: »Die loyalen Gefühle gegenüber Kaiser bzw. Gesamtstaat, Partei und Nationalität überschnitten sich vielfach …«

Heindl, Josephinische Mandarine, S. 94, S. 105; vgl. dazu aus einer biographischen Perspektive: Fredrik Lindström, »Imperial Heimat. Biographies of the ›Austrian State Elite‹ in the Late Habsburg Empire«, in: Tim Buchen, Malte Rolf (Hg.), Eliten im Vielvölkerreich. Imperiale Biographien in Russland und Österreich-Ungarn (18501918), Berlin 2015, S.368–392, hier S.378–380; zur aktiven Förderung des Reichspatriotismus durch die Statthalter vgl. Marion Wullschläger, »›Gut österreichische Gesinnung« Imperiale Identitäten und Reichsbilder der letzten österreichischen Statthalter in Triest (1904–1918)«, in: Buchen/Rolf, Eliten im Vielvölkerreich, S.90–106, hier S. 99–105.

Diese Komplexität war nicht nur auf den engeren Bereich der politischen Gesinnung beschränkt. Patriotisches Denken stand nicht im Gegensatz zur Beanspruchung von Rechten, auch wenn die Stimmführer des Reichsgerichts von einem solchen Antagonismus ausgingen. Ein Beamter konnte sich in seinen Ansprüchen an der Dienstpragmatik orientieren und ein Anhänger von Kaiser und Monarchie sein. Die Logik der Verrechtlichung trug jedoch dazu bei, dass sich die Gewichtung langsam, aber sicher weg von der Gnade und in Richtung Recht verschoben. Die Dienstpragmatik schuf eben eine grundlegend neue Basis für die Beziehung zwischen Beamten, Behörden und Staat. Die vorher über den Gnadenweg ausgehandelten Leistungen konnten plötzlich eingeklagt werden. Keiner der Stimmführer hätte eine Klage vor dem Reichsgericht grundsätzlich als verwerflicher als das untertänigst übermittelte Majestätsgesuch bezeichnet.

Aus der Sicht von manchen Personen, die mit Forderungen an das Reichsgericht herantraten, war diese Trennung zwischen einer Klage und einem Majestätsgesuch nicht vorhanden. So reichte Johann Vomacek ein Majestätsgesuch an das Reichsgericht ein, das in der nichtöffentlichen Sitzung vom 03.10.1916 zurückgewiesen wurde (f. 10).

Doch gab es aus ihrer Sicht Grenzen für das Anspruchsdenken, die sich allerdings nicht in eindeutige juristische Begriffe kleiden ließen. Sie waren ethisch-politischer Natur und konnten – aus Sicht des Reichsgerichts – nur in submissiv-serviler Art als Anrufung der allerhöchsten Gnade überwunden werden.

Der Fall Weiß und der Fall Klebkowska: Rechtsstaat im Ausnahmezustand

»Ein derart rücksichtlich der Parteien, der Gattung und Menge des Gegenstandes und seines Preises konkretisiertes Rechtsverhältnis ist der Handelsminister ›aus Rücksichten des öffentlichen Interesses nach freiem Ermessen‹ zu konstituieren berufenDas durch Intimierung der Lieferungsverfügung einmal konstituierte Rechtsverhältnis zwischen den Parteien zu alterieren, liegt nicht mehr in der auf seine Begründung beschränkten Befugnis des Handelsministers …«

»Erkenntnis des VwGH 11.898 vom 06.07.1917, Z. 10.617«, in: Budwinskis Sammlung der Erkenntnisse des k. k. Verwaltungsgerichtshofes 41 (1917), S. 395–397, hier S. 397.

Die Papierfabrik Weiß aus Bukowetz bei Pilsen wurde vom Handelsministerium mit einem Erlass vom 15. Juli 1916 verpflichtet, zwischen Juli und Dezember dieses Jahres fünf Waggonladungen Rotationsdruckpapier pro Monat zu erzeugen und an den Papierfabriksverband abzuliefern. Dieser Auftrag dürfte nicht ungelegen gekommen sein. Die Papierindustrie erlitt durch den Krieg einen erheblichen Einbruch ihres Absatzes und produzierte Druckpapier auf Lager. Die Freude war jedoch von kurzer Dauer. Der staatliche Auftrag wurde ohne Begründung mit einem Erlass vom 3. Oktober 1916 widerrufen, der Firma Weiß die Abnahme des produzierten Papiers nicht garantiert. Die Firma legte Widerspruch ein und verklagte das Handelsministerium vor dem Verwaltungsgerichtshof. Der Ausnahmezustand und die Kriegsdiktatur hatten den Rechtsstaat nicht gänzlich außer Kraft gesetzt. Der Zugang zu den obersten Gerichten blieb grundsätzlich erhalten, war für viele Menschen allerdings deutlich erschwert.

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) war für den Fall Weiß zuständig, weil im Mai 1916 auch für die Papierindustrie die staatliche Bewirtschaftung begonnen hatte. Der Auftrag des Handelsministeriums war daher kein privatrechtlicher Vertrag mit einem Unternehmen der Papierindustrie, sondern eine behördliche Anordnung, die sich auf die Verordnung vom 23. Mai 1916 stützte. Diese sollte den »Gesamtbedarf an sogenannten ›staatsnotwendigen Papieren‹ sicherstellen« und ermächtigte den Handelsminister, einzelne Unternehmen, wie etwa die Papierfabrik Weiß, mit der Produktion und Lieferung bestimmter Produkte zu beauftragen. Zuständig für die Aufträge waren Beamte des Ministeriums, die nach freiem Ermessen handelten, jedoch »der Industrie selbst fernstanden«, wie Richard Riedl in seinem Rückblick auf die Beziehungen zwischen Industrie und Staat bedauernd anmerkte.

Richard Riedl, Die Industrie Österreichs während des Krieges, Wien 1932, S. 235, S. 237 (Zitat S.237).

Der VwGH war die letzte Instanz, vor der die zum Teil selbstherrlichen Aktionen dieser Beamten kritisch evaluiert werden konnten.

Die Papierindustrie begrüßte grundsätzlich die staatliche Bewirtschaftung. Von Heeresaufträgen profitierten jedoch nur die Kartonagenhersteller. Sie stellten Verpackungen für Munition, Abdeckungen für die Geschützmündungen und Versandkartons her.

Versuche, die mit dem Ausbruch des Krieges eingebrochene Nachfrage durch den Aufbau alternativer Absatzmärkte auszugleichen, wie etwa durch die Vermarktung von Papier als Ersatzstoff für Bekleidung und zur Isolierung von Gebäuden, konnten sich langfristig nicht durchsetzen, auch wenn das Kriegsministerium die Ausgabe von Papierwesten und Papierfußlappen an die kämpfende Truppe plante: vgl. Riedl, Industrie, S. 229.

Für alle Betriebe gab es bald Engpässe bei den Rohstoffen. Importe fielen weitgehend weg, und im heimischen Rohstoffmarkt wurde das Militär zum übermächtigen Konkurrenten. Staatliche Bewirtschaftung sollte wenigstens dem Teil der Branche einen ausreichenden Zugriff auf Rohstoffe ermöglichen, der für die Produktion von ›staatsnotwendigen Papieren‹ zuständig war.

Vgl. Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 1995, S. 323–326.

Unter diese Kategorie fiel aus politischen Gründen vor allem Rotationsdruckpapier. Es war für Zeitungen bestimmt, die vom Kriegsüberwachungsamt ab Dezember 1915 zunehmend für eine aktive Propaganda genutzt wurden.

Zur Rolle der Presse in der Kriegspropaganda vgl. Judson, Habsburg Empire, S.415–417. Der hohe Stellenwert der Zeitungen zeigt sich auch daran, dass ab Beginn des Jahres 1917 sogar eine Subvention zur Deckung der gestiegenen Papierpreise gewährt wurde: vgl. Riedl, Industrie, S.232, S.237.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof stand nicht die Legitimität der staatlichen Bewirtschaftung zur Diskussion. Verhandelt wurde über die Rechtmäßigkeit der einseitigen Aufhebung des erteilten Auftrags an die Firma Weiß. Zur Klärung dieser Frage setzte sich der VwGH mit dem Charakter des Rechtsverhältnisses auseinander, das durch die Beauftragung zustande gekommen war. Der Zwang zur Produktion eines klar bezeichneten Produkts in einer bestimmten Menge für einen konkret benannten Abnehmer zu einem festgelegten Preis konstituierte aus Sicht des Gerichtshofs ein Rechtsverhältnis, »welches sich inhaltlich, wenn auch gewiß nicht dem Entstehungsgrunde (übereinstimmender Wille der Parteien) nach, mit einem Lieferungskaufe deckt.«

Erkenntnis 11.898 vom 06.07.1917, S.396.

Diese Argumentation eröffnet einen interessanten Einblick in die Logik der Kriegswirtschaft. Diese war offensichtlich bestimmt durch eine hybride Mischung von Markt und ›Imperium‹. Die Beamten konnten in Vertretung des Handelsministers Firmen durch Aufträge verpflichten und damit ihr ›Imperium‹ in einem Bereich durchsetzen, der vor dem Krieg einer freien Vertragsgestaltung Vorbehalten war. Dieses ›Imperium‹ ersetzte nicht vollständig die früher bestandenen Rechtsverhältnisse im Rahmen der Marktwirtschaft, sondern musste sich mit diesen verbinden. Das geschah durch die konzeptuelle Zergliederung von Vertragsverhältnissen, von denen nur ein Teil durch behördlichen Befehl bestimmt werden konnte. Aufgrund dieser Logik konnte der Auftrag des Ministeriums nicht als amtlicher Befehl gelten, dem ein Unternehmen Folge leisten musste und den die Behörde nach Belieben widerrufen konnte, sondern als asymmetrische Begründung eines Rechtsverhältnisses in Analogie zu einem Kaufvertrag. Der Unterschied zwischen einem durch behördlichen Auftrag zustande gekommenen Kaufvertrag und einer amtlichen Anordnung war weitreichend. Der Kaufvertrag, selbst wenn er durch behördliche Anordnung zustande gekommen war, band beide Teile und verpflichtete sie zur Erfüllung der vereinbarten Leistungen: »den Lieferungspflichtigen unter Hintansetzung entgegenstehender sonstiger Verbindlichkeiten (§4) und unter Strafsanktion (§5), den Zubeliefernden durch die Zug um Zug (§2) zu leistende Zahlung.«

Erkenntnis 11.898 vom 06.07.1917, S.397.

Der VwGH hob deshalb die Entscheidung des Handelsministeriums auf, das den Auftrag widerrufen hatte. Er machte in seiner Urteilsbegründung dabei keine grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber einer Widerrufung von Aufträgen durch den Minister geltend. Solche Maßnahmen müssten jedoch auch in Zeiten des Ausnahmezustands durch gesetzliche Ermächtigungen gedeckt sein, weil dadurch ja in die erworbenen Rechte der Parteien eingegriffen würde. Die Verordnung vom 23. Mai 1916 hatte den Handelsminister zwar zur Begründung eines Rechtsverhältnisses, aber nicht zu dessen Änderung oder gar Aufhebung ermächtigt. Das öffentliche Interesse an dem bestellten Produkt, so der VwGH, hätte ja weiterhin bestanden. Auch deshalb erschien der Widerruf der Beauftragung als ungerechtfertigt.

Erkenntnis 11.898 vom 06.07.1917, S.397.

Der VwGH behandelte den Fall Weiß erst zu einer Zeit, als bereits neue Spielregeln für den Papiermarkt erlassen worden waren. Der Handlungsspielraum der Beamten im Handelsministerium war durch Gründung eines Zeitungsbeirats (Dezember 1916) und einer Verteilungsstelle für Rotationsdruckpapier (März 1917) erheblich eingeschränkt worden. Nun arbeiteten die Vertreter der Papierindustrie, der Zeitungen und der Ministerien im Rahmen eines Wirtschaftsverbands gemeinsam an Maßnahmen zur Sicherung der Papierversorgung für die Printmedien.

Vgl. dazu Riedl, Industrie, S.235–242.

Die rasche Änderung der Organisation des Markts durch immer neue gesetzliche Regelungen bedeutete eine erhebliche Herausforderung für die Kontrolltätigkeit des VwGH. Sein Urteil im Fall Weiß hatte keine Bedeutung mehr – die knappen Güter wurden längst nach anderen Regeln verteilt.

Für mich ist die Verhandlung vor dem VwGH relevant, weil sie einen Einblick in die Ambivalenz des Rechtszustandes während des Ersten Weltkriegs vermittelt. Der Krieg führte zu einem Ausnahmezustand in vielerlei Hinsicht: zur Aufhebung von Grundrechten, zu oft tödlichen Übergriffen der Militärjustiz, zur Entrechtung von Arbeiterinnen und Arbeitern.

Vgl. dazu Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, S. 224 f., S.228 f.; vgl. dazu auch Brennan, Reforming Austria-Hungary, Kap. II.

Er ging jedoch nicht soweit, dass er den Fall Weiß und zahlreiche ähnliche Klagen vor den obersten Gerichten verunmöglicht hätte. Für die in Galizien wegen Spionageverdacht Gehenkten war die Klage beim Reichsgericht gegen die Einschränkung ihrer Grundrechte keine Option mehr, aber Institutionen, Beamte und selbst Bürgerinnen und Bürger konnten weiterhin ihre Rechtsansprüche vor den obersten Gerichtshöfen vertreten.

Das Nebeneinander von »erweiterter Raumzuteilung für staatliches Handeln«

So die Charakterisierung des Ausnahmezustandes durch den Rechtswissenschaftler Hans Boldt (»Der Ausnahmezustand in historischer Perspektive«, in: Der Staat 6 (1967), S. 409–432, hier S.419).

im Ausnahmezustand und dem Fortbestehen rechtlicher Schranken für die Eingriffe der Behörden in Wirtschaft und Gesellschaft lässt sich auf unterschiedlichen Ebenen diskutieren. Auf Verfassungsebene tritt dabei die rechtliche Festlegung der Reichweite von Ausnahmeverfügungen in den Blick. Die Ausrufung des Ausnahmezustands setzte eben nicht die Rechtsordnung außer Kraft, sondern lediglich einzelne Rechtssätze. Das war zumindest die Sicht der Rechtswissenschaft des frühen 20. Jahrhunderts: »Nicht das Vereins- oder Versammlungsrecht der Staatsbürger wird außer Kraft gesetzt, sondern es werden einzelne Bestimmungen des (objektiven) Vereins- oder Versammlungsrechtes im Wege einer Ausnahmsverordnung suspendiert und eventuell durch andere Bestimmungen ersetzt«, wie Ludwig Spiegel ausführte.

Ludwig Spiegel, »Ausnahmezustand«, in: Ernst Mischler, Josef Ulbrich (Hg.), Österreichisches Staatswörterbuch. Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen Rechtes, Bd. 1, Wien 1905, S.370–373, hier S.370. Zur rechtlichen und verfassungsmäßigen Einhegung des Ausnahmezustands in Frankreich und Deutschland vgl. die umfassende Analyse von Martin Geyer, »Grenzüberschreitungen: Vom Belagerungszustand zum Ausnahmezustand«, in: Niels Werber, Stefan Kaufmann, Lars Koch (Hg.), Erster Weltkrieg. Kulturwissenschaftliches Handbuch, Stuttgart 2014, S.341–384. Die Fortgeltung der Rechtsordnung in Zeiten des Ausnahmezustands ist schwer vereinbar mit der Gedankenwelt eines Carl Schmitt, der ganz wesentlich unser Bild vom Ausnahmezustand geprägt hat. Vgl. dazu meine Überlegungen in: Peter Becker, »Macht, Gewalt und deren Kontrolle im Ersten Weltkrieg: Theorie und Praxis des Ausnahmezustandes in der Habsburgermonarchie«, in: Elisabeth Gruber, Andreas Weigl (Hg.), Stadt und Gewalt, Innsbruck 2016, S. 109–140, bes. S. 109–112.

Wenn man die Diskursebene des Verfassungsrechts und der politischen Theorie verlässt und sich in die Niederungen der administrativen und rechtlichen Praxis in der Zeit des Ausnahmezustands begibt, stößt man als Historiker unweigerlich auf die publizierten Entscheidungen und auf die Sitzungsprotokolle des VwGH und des Reichsgerichts. Vor diesen beiden obersten Gerichten wurden von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern sowie von Unternehmen Ansprüche gegenüber dem Staat und seinen Behörden auf Leistungen und Unterlassung geltend gemacht. Für den Historiker stellen diese Verhandlungen einen Beobachtungspunkt dar, der Konflikte innerhalb des Staatsapparats beziehungsweise zwischen Behörden und der Bevölkerung auf unterschiedlichen Ebenen sichtbar macht. Die Sachverhaltsdarstellungen und die Gegenschrift präsentierten zwei Perspektiven auf den Konflikt, die Debatten der Stimmführer beschäftigten sich mit der juristischen Deutung des Falls auf höchstem Niveau. Sie bezogen die gesamte österreichische und einen Teil der europäischen Gesetzgebung sowie die parlamentarischen Debatten zu den legislativen Projekten in ihre Überlegungen ein. Die vor den obersten Gerichten verhandelten Sachverhalte vermitteln daher faszinierende Einblicke in Konflikte, deren unterschiedliche Wahrnehmung und rechtliche Bearbeitung.

Ich möchte das heuristische Potenzial einer solchen Auseinandersetzung mit einem vor dem Reichsgericht verhandelten Fall einer Frau aus Galizien vorstellen, die im März 1915 nach Wien kam, um einen Buchhaltungskurs zu absolvieren. Ihre Angelegenheit ermöglicht die Fortsetzung meiner Analyse der Rechtsgeltung im Ausnahmezustand mit einem Fokus auf der erweiterten Raumzuteilung für staatliches Handeln‹. Frau Klebkowska, so der Name dieser Frau, besuchte die Ausbildung in Wien, um »auf alle Eventualitäten vorbereitet sein«, wie sie in ihrer Eingabe ans Reichsgericht ausführte.

RGE 1916, Nr. 2224, 72 (Entscheidung vom 16.02.1916 über eine Beschwerde wegen Verletzung des durch die Verfassung gewährleisteten politischen Rechtes der Freizügigkeit). Eine ausführliche Diskussion des Falles aus der Perspektive des Ausnahmezustands findet sich bei Becker, »Macht, Gewalt und deren Kontrolle«, S. 117–129.

Sie war aus Warschau gebürtig und lebte vor ihrer Flucht als Gattin eines Landesadvokaten in Krakau. Ihr Mann wurde bereits im August 1914 zum Militärdienst eingezogen und versah als Oberleutnant den Bahnhofsdienst in Kattowitz. Frau Klebkowska unterschied sich in vieler Hinsicht von einer großen Zahl galizischer Flüchtlinge; dies spielte in der Diskussion vor dem Reichsgericht eine große Rolle. Anders als viele ihrer Landsleute mietete sie sich eine Wohnung im 6. Gemeindebezirk und nicht in der Leopoldstadt oder in Brigittenau.

Vgl. Alfred Pfoser, Andreas Weigl, »Wohnverhältnisse und Mieterschutz«, in: Dies. (Hg.), Im Epizentrum des Zusammenbruch. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, S.462–469, hier S. 464.

Sie war auch nicht auf die Unterstützung des Hilfskomitees angewiesen,

Ein statistischer Überblick über die Zahl der in Wien ankommenden Flüchtlinge und der Unterstützungsempfänger findet sich bei Andreas Weigl, »Eine Stadt stirbt nicht so schnell. Demographische Fieberkurven am Rande des Abgrunds«, in: Pfoser/Weigl, Epizentrum, S. 62–71, hier S. 65. Zur Tätigkeit der Flüchtlingsfürsorge vgl. Gabriele Kohlbauer-Fritz, »›Elend überall und wohin man schaut‹. Kriegsflüchtlinge in Wien«, in: Pfoser/Weigl, Epizentrum, S.96–103, bes. S. 98 f.

weil sie von ihrem Ehegatten ausreichend finanziell unterstützt wurde. Zudem verfügte sie offenbar über einen sehr guten Zugang zum Recht und den Behörden.

Polnische Flüchtlinge konnten zusätzlich zu den persönlichen Netzwerken, die ganz wesentlich waren, auch auf die Unterstützung durch polnische Organisationen zählen, wie etwa das Hilfskomitee für Flüchtlinge aus Galizien und der Bukowina. Vgl. dazu Anna Brozek, Kazimierz Twardowski, Die Wiener Jahre, Wien 2011, S.239 f.; zu dem in den Räumlichkeiten des Hilfskomitees untergebrachten ›Koło Polskis‹ vgl. Kamil Ruszala, »Działalność polityków Koła Polskiego w Wiedniu na rzecz pomocy Polakom zesłanym w głąb Austro-Węgier podczas I wojny światowej«, in: Ders., Michal Baczkowski, (Hg.), Front Wschodni I Wojny Światowej. Studia z Dziejów militarnych i polityczno-społecznych, Kraków 2013, S. 153–169.

Deshalb wandte sie sich am 4. August direkt an das Ministerium des Inneren mit dem Ansuchen um Aufenthaltsbewilligung, »weil sie erfuhr, daß nicht die Polizei, sondern das k.k. Ministerium des Innern in solchen Fällen allein entscheidet«.

RGE 1916, Nr. 2224, S.73.

Am 7. August erhielt sie jedoch eine Ladung vor das Polizeikommissariat in Mariahilf, wo sie ein Polizeirat über ihre Ausweisung aus Wien informierte. Demnach sollte sie Wien bis spätestens 10. August verlassen, obwohl die Buchhaltungsschule erst am 23. August den Unterricht beenden würde. Sie übersiedelte nach Mauer und kurze Zeit später in die Schweiz.

Das Ministerium rechtfertigte die Ausweisung mit der Notwendigkeit, die westlichen Länder der Monarchie nach der Okkupation von Galizien durch die russischen Truppen vor »Approvisionierungs- und Wohnungsschwierigkeiten, Einschleppung ansteckender Krankheiten etc.« zu schützen. In dieser Notsituation sah sich die Regierung gezwungen, den Flüchtlingsstrom auf dem Verordnungsweg zu organisieren. Denn es »wäre eine unabweisbare Katastrophe entstanden, wenn alle Flüchtlinge nach Wien gekommen wären«. Das Polizeikommissariat Mariahilf orientierte sich an den Vorgaben der Regierung und wies Frau Klebkowska aus.

RGE 1916, Nr. 2224, S.75 f., S.79.

Die Beschwerdeschrift beharrte dagegen auf der grundsätzlichen Geltung der Rechtsordnung in Zeiten des Ausnahmezustands.

Die Klageschrift sprach damit Themen an, die heute in der rechtsphilosophischen Auseinandersetzung von Agamben mit den Thesen von Carl Schmitt zum Ausnahmezustand erneut eine wichtige Rolle spielen: Giorgio Agamben, Ausnahmezustand, Frankfurt am Main 2004, S.45. Wie Agamben jedoch an anderer Stelle ganz zu Recht betont, bedeutete für Carl Schmitt die Suspendierung der Rechtsordnung keine Anarchie, sondern eine andere Form der Ordnung, die auf technischen Regeln der Anwendung aufbaute. (S. 43)

Frau Klebkowska und ihr Rechtsvertreter wiesen auf die Unvereinbarkeit der Ausweisung mit weiterhin geltenden Freiheitsrechten hin. Die verfassungsmäßig garantierte Freizügigkeit und freie Wahl des Wohnorts waren nicht durch die Verhängung des Ausnahmezustands suspendiert und somit weiterhin in Kraft. Die Wahl des Wohnsitzes stand daher der Beschwerdeführerin frei, solang sie nicht polizeilich auffällig war oder die Armenfürsorge in Anspruch nehmen musste.

Die kaiserliche Verordnung vom 11.08.1914, RGBl 213/1914 ermächtigte die Festlegung des Aufenthaltsortes von Kriegsflüchtlingen nur bei jenen Personen, die für sich und ihre Familie nicht selbst sorgen konnten.

In ihrem Einspruch beharrte sie darauf, dass politische Entscheidungen auch in Notsituationen die gesetzlichen Grundlagen respektieren müssten, die von der Verfassung von 1867 und dem Gesetz über »Ausnahmen von bestehenden Gesetzen« von 1869 festgelegt worden waren.

RGBl 66/1869.

Deshalb lehnte sie den Hinweis auf die Gefährdung der öffentlichen Ordnung als Grund für ihre Wegweisung ab. Denn eine solche Begründung musste sich ebenfalls innerhalb des gesetzlichen Rahmens bewegen, der eine einzelfallbezogene Argumentation erforderte. Sie konnte deshalb nur auf Personen angewandt werden, »welche entweder mit dem Strafgesetz oder mit der Sicherheitsbehörde in Konflikt geraten« waren.

RGE 1916, Nr. 2224, S.73 f.

Die Verantwortung der Regierung, dass die Stadt Wien gegenüber Flüchtlingen aus Galizien und der Bukowina gesperrt werden musste, war aus der Sicht der Klagevertreter aus zwei Gründen unzulässig. Erstens wurde die entsprechende Verfügung des k.k. Ministeriums des Inneren vom 10. Dezember 1914 nicht öffentlich kundgemacht. Die Veröffentlichungspflicht galt jedoch auch für die »Ausnahmen von den bestehenden Gesetzen«.

Einen Überblick über die rechtliche Regelung des Ausnahmezustandes zur Zeit des Kriegsbeginns findet sich bei Alexander Koller, Ausnahms-Gesetze und Verordnungen für den Kriegsfall in der österreichisch-ungarischen Monarchie, Wien 1914. Hugo Strauß und Victor Heller übersetzten die neue normative Ordnung in einen allgemein verständlichen ›Katechismus‹: Hugo Strauß, Victor Heller, Österreichischer Kriegskatechismus für die Daheimgebliebenen. Ein Ratgeber in allen rechtlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten während des Krieges, Wien 1914, v. a. S.78–88 zum Ausnahmezustand. Vgl. zur Ermächtigung der Exekutive, im Ausnahmezustand Verordnungen mit Gesetzeskraft zu erlassen: Agamben, Ausnahmezustand, S. 48.

Zweitens verletzte eine solche Maßnahme den Gleichheitsgrundsatz. Damit würden alle Menschen aus diesen Kronländern »zu Staatsbürgern zweiter Klasse gestempelt«. Und der Artikel 2 des Staatsgrundgesetzes von 1867 – »vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich« – könnte eben in Ausnahmeverfügungen nicht widerrufen werden, auch nicht angesichts einer von der Regierung geltend gemachten Notsituation.

RGE 1916, Nr. 2224, S.74.

Frau Klebkowska argumentierte in Ihrer Darstellung sehr geschickt auf mehreren Ebenen, die für den Historiker unterschiedliche Einblicke in die Praxis des Ausnahmezustands vermitteln. Die erste Ebene ihrer Argumentation betrifft die Rechtsgeltung in Zeiten des Ausnahmezustands. Sie stellte nicht die Kompetenz der Regierung zur Organisation der Flüchtlingsströme Verordnungen zu erlassen infrage. Die gesetzlichen Bestimmungen zur Heimat- und Armenversorgung waren zur Bewältigung dieser Herausforderung keinesfalls ausreichend.

Vgl. Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg, S.840 f.; zu den Maßnahmen der Regierung zur Versorgung galizischer Flüchtlinge in Böhmen vgl. Klára Habartovä, »Jewish refugees from Galicia and Bukowina in East Bohemia during World War I in light of the documents of the State Administration«, in: Judaica Bohemia 43 (2007), S. 139–166.

Infrage stellte sie vielmehr die dazu entwickelten normativen Instrumente, weil diese die weiterhin geltende Rechtsordnung nicht respektierten. Wie verhielten sich die Hüter der österreichischen Verfassung zu diesem verfassungsmäßig wohlbegründeten Einspruch?

Die Klägerin fand Unterstützung bei einigen Stimmführern des Reichsgerichts. Julius Ofner griff ihre Forderung nach einer Einzelfallprüfung auf und verwahrte sich gegen eine generalisierende Behandlung der Flüchtlinge. Man könne, wie der Reichsratsabgeordnete ausführte, »nicht sagen, von Prag ja, von Lemberg nicht … Wenn aber jemand nach Wien kommt und sich selbst erhält, dann sei es nicht zulässig, demselben den Aufenthalt zu verweigern.« In der Replik auf den Einwand des Freiherrn von Call präzisierte Ofner seine Anschauung ganz im Sinne der Klage von Frau Klebkowska. Eine Ausweisung sei aus »allgemeinen Gründen … nicht möglich, sondern es müssen bestimmte aus der Person hervorgehende Thatsachen vorliegen.«

AT-OeStA/AVA Justiz RG A 117, nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 16.02.1916, f. 20, f. 21.

Stanislaus Ritter von Starzyński, Staatsrechtsexperte und Politiker aus Galizien, unterstützte ebenfalls die Klage als Stimmführer. Er sah in der Ausweisung von Frau Klebkowska nur einen Versuch der Regierung, das eigene Versagen bei der Organisation der Flüchtlingsbewegung auf die Betroffenen abzuwälzen. Dies begründete er mit dem Hinweis auf den weitaus erfolgreicheren und somit kompetenteren Umgang der preußischen Regierung mit einer ähnlichen Herausforderung. Außerdem dürfe man das Fehlen einer schriftlichen Verfügung, so seine Überlegung, nicht den Betroffenen als Versäumnis anlasten. Darum müsse das Reichsgericht der Klägerin zuerkennen, dass die Angelegenheit »ausgetragen« sei.

Nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 16.02.1916, f. 19.

Der letzte Punkt bezog sich auf einen zentralen Aspekt für die Beurteilung der Klage. Hatte Frau Klebkowska tatsächlich alle möglichen Instanzen durchlaufen, um ihre Ausweisung anzufechten? Mit der Beantwortung dieser Frage verlagerte sich die Debatte auf die verfahrensrechtlichen Aspekte des Falls. Sie waren relevant, weil Einsprüche vor dem Reichsgericht nur dann zulässig waren, wenn alle Einspruchsmöglichkeiten ausgeschöpft waren.

Im Fall Klebkowska war eine eindeutige Klärung der verfahrensrechtlichen Fragen unmöglich. Der Grund dafür lag in der eklatanten Verletzung von Verfahrensregeln seitens des Ministeriums wie des lokalen Polizeikommissariats. Damit sind wir bereits bei der zweiten Ebene angelangt, auf die Frau Klebkowska Bezug nahm: die praktische Handhabung des Ausnahmezustands durch die Behörden. Die Stimmführer und der Präsident des Reichsgerichts hatten Mühe, den verworrenen Sachverhalt zu fassen. Die Verantwortung des Ministeriums bot ihnen dabei keine wirkliche Unterstützung. Denn das Vorgehen von Ministerium und Polizeikommissariat war weder aufeinander abgestimmt noch regelkonform. Bei der Lektüre der Unterlagen zu diesem Fall wird man unweigerlich an Pieter Judsons Kommentar zur Kriegsregierung erinnert, dass Zwang nämlich Verwirrung und Unordnung stiften würde.

Judson, Habsburg Empire, S.395.

Das Ende einer geregelten, rechtskonformen staatlichen Verwaltung erweiterte den Handlungsspielraum für die lokalen Beamten, die Bürgerinnen und Bürger nach eigenem Ermessen einer erhöhten Zwangsgewalt unterwerfen konnten. Die Eigenmächtigkeit und mangelnde Abstimmung resultierte in Willkürakten anstatt in erhöhter Schlagkraft und Effizienz.

Die Verwirrung und Unordnung war das ungewollte Resultat einer neuen Verwaltungskultur, in der die »alten Erbübel des österreichischen Beamtentums« – »viel zu weit gehender Formalismus«, »allzu peinliche Befassung mit den rein juristischen Kriterien in der Administration« und »Scheu vor der Verantwortung« – ausgespielt hatten.

Redlich, Österreichische Regierung und Verwaltung, S. 151.

Die lokale Verwaltung und ihre engagierten Mitarbeiter setzten unter dem Schirm des Ausnahmezustands auf »eine Kultur der ›Maßnahmen‹, des Dezisionismus und des Tatdenkens.«

Vgl. dazu die allgemeinen Überlegungen zu einer neuen Kultur des Dezisionismus im Rahmen des Ausnahmezustandes: Geyer, »Grenzüberschreitungen«, S.341. Geyer bezieht diese Beobachtung nicht ausschließlich auf den Ersten Weltkrieg, sondern ebenso auf die Weimarer Republik und schließt deshalb »Revolution und Bürgerkriegsängste« mit ein.

Das lässt sich jedenfalls für die Beamten der Wiener Polizei, die mit der Lösung des Flüchtlingsproblems betraut waren, behaupten. Ihr Vorgehen im Fall Klebkowska wurde vom Vorsitzenden des Reichsgerichts, Karl von Grabmayr, pointiert zusammengefasst: »Zuerst habe die Polizei die Beschwerdeführerin behelligt, die Partei habe infolge dessen ein Gesuch an das Ministerium gerichtet und mittlerweile habe die Polizei die Behelligung in eine Ausweisung umgewandelt.«

Nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 16.02.1916, f. 22.

Grabmayrs Charakterisierung war korrekt, löste aber die Verwirrung nicht auf. Um das Vorgehen des Polizeikommissars verfahrensrechtlich angemessen erfassen zu können, musste zuerst die Frage der Kompetenzen geklärt werden. War ein Polizeikommissar überhaupt dazu berechtigt, eine Ausweisung anzuordnen, ohne diese Anordnung vorher mit den vorgesetzten Stellen abzuklären? Konnte das Ministerium noch steuernd eingreifen? In dem ähnlich gelagerten Fall des Stanislaus Olánski beschränkte sich das Polizeikommissariat etwa auf eine Benachrichtigung des »Sicherheitsbureaus« über die Ausweisung.

Beschwerde des Stanislaus Olánski wegen Verletzung des durch die Verfassung gewährleisteten politischen Rechts der Gleichheit vor dem Gesetz, der Freizügigkeit, des freien Aufenthalts und Wohnsitzes und der freien Ausübung des Erwerbs, AT-OeStA/AVA Justiz RG A 117, nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 08.051916, f. 5–8; RGE 1916, Nr. 2239, S.240–247, hier S.244.

In beiden Fällen sahen sich die lokalen Polizeibehörden durch die Anweisung des Ministeriums autorisiert, »den Flüchtlingszuzug von Wien nach Möglichkeit abzulenken und ihnen Aufenthalt und Unterkunft in anderen Gemeinden zuzuweisen, vor allem durch die Wiener Polizeiorgane auf jene Flüchtlinge einzuwirken, deren Verhältnisse den Aufenthalt in Wien als nicht unbedingt notwendig erscheinen ließen«.

RGE 1916, Nr. 2224, S.75.

Auf dieser Grundlage lud der k.k. Polizeirat des Bezirks Mariahilf Frau Klebkowska vor und forderte sie zum Verlassen Wiens auf. Er hielt sich für ermächtigt, die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Flüchtlinge in seinem Bezirk zu evaluieren und Ausweisungen vorzunehmen oder anzudrohen. Im Fall von Frau Klebkowska erfolgte das Einwirken des Polizeirats in wenig subtiler Form. Er stellte sie vor die Alternative, »ein Protokoll des Inhalts zu unterschreiben, daß sie sich verpflichte, Wien bis zum 10. August 1915 zu verlassen«, oder aber zwangsweise abgeschoben zu werden.

RGE 1916, Nr. 2224, S.73.

Zwangsweise Abschiebung bedeutete den Transport in das Barackenlager Leibniz, wie der Fall Olánski zeigt.

Der Aktionismus des lokalen Polizeikommissars trug wesentlich mit zur Verwirrung bei. Er kam der Entscheidung des Ministeriums zuvor, die Frau Klebkowska eigentlich eine Verlängerung ihres Aufenthalts bis zum 1. September zugestanden hatte. Der entsprechende Anruf des Ministeriums kam jedoch zu spät, nämlich einen Tag nach Ablauf der vom Polizeirat gesetzten Frist.

RGE 1916, Nr. 2224, S.75.

Eine ganz ähnliche Konstellation findet sich im Fall Olánski. Wie kann man die Eigenmächtigkeit der lokalen Polizeibehörden fassen? War die selbstherrliche Entscheidung über fundamentale Rechtsfragen schlicht eine Form von abweichendem Verhalten innerhalb der Verwaltung? Oder bietet es einen schlaglichtartigen Blick auf eine neue Verwaltungskultur? Wenn man sich für die zweite Option entscheidet, kann man bei Judith Butler und ihren Überlegungen zum aktuellen Kampf gegen den Terror konzeptuelle Anleihen nehmen. Sie verweist dort auf die folgenreichen Entscheidungen der »kleinen Souveräne […] inmitten bürokratischer Einrichtungen der Armee«. Damit greift sie Überlegungen in Foucaults Studien zur ›Gouvernementalität‹ auf und bezieht die anonymen Funktionäre der Regierungsmaschine, die im Ausnahmezustand zu Entscheidern mit weitreichenden Kompetenzen werden, in ihre Analyse ein.

Judith Butler, Gefährdetes Leben. Politische Essays, Frankfurt am Main 2005, S. 78; vgl. dazu auch Friedrich Balke, »Beyond the Line: Carl Schmitt and the condition of exception«, in: Philosophische Rundschau 55 (2008), S.273–306, hier S.278 f.; vgl. dazu auch Alf Lüdtke, Michael Wildt, »Einleitung«, in: Dies. (Hg.), Staats-Gewalt. Ausnahmezustand und Sicherheitsregimes. Historische Perspektiven, Göttingen 2008, S.21.

Mit dem Ausnahmezustand war eine Kultur des administrativen Dezisionismus verbunden, der sich auf alle Ebenen des Verwaltungsapparats auswirkte. Diese neue Kultur veränderte die Vorstellungswelt sowie das Handeln der leitenden Beamten

Deak weist darauf hin, dass leitende Beamte in der Monarchie von der Idee durchaus angetan waren, die enge Bindung an Verfahren durchlässiger zu machen. (Deak, Forging a Multinational State, 267 f.).

und eröffnete einen Handlungsspielraum für die kleinen Souveräne auf den unteren Ebenen der Verwaltung. Die beiden Wiener Polizeifunktionäre überwanden in diesem Sinn nicht nur die traditionellen Hemmnisse von Formalismus und mangelndem Entscheidungswillen, sie wurden von einem kleinen Rädchen des Staatsapparats zu einer »souveränen Macht, einem geisterhaften und eindrückliehen Wiederaufleben der Souveränität inmitten der Gouvernementalität«.

Butler, Gefährdetes Leben, S.78.

Wodurch waren die kleinen Souveräne bestimmt, wenn sie ihre erweiterten Handlungsspielräume zum kurzen Prozess gegen die Flüchtlinge aus Galizien einsetzten? Walter Mentzel verweist auf einen »massiven Aggressionsschub« und Pieter Judson auf die Bedeutung von nationalen Loyalitäten und religiös motivierten Feindbildern. Er berichtet von den Ergebnissen einer Informationsreise nach Böhmen, die Robert Scheu, Beamter des Handelsministeriums und Mitarbeiter der Fackel, zwischen Juli und September 1918 unternommen hatte. Dieser sah sich dort mit einer Fülle von Vorwürfen gegenüber »arrogant German-speaking civil servants« konfrontiert.“

Judson, Habsburg Empire, S.429;Mentzel, Kriegserfahrungen, S.386 f.; zu Robert Scheu vgl. Armin A. Wallas, »›Geist‹ und ›Tat‹ – Aktivistische Gruppierungen und Zeitschriften in Österreich 1918/19«, in: Martin Huber (Red.), Literatur, Politik und soziale Prozesse, IASL Sonderheft 8, Tübingen 1997, S. 107–146, hier S. 117, Fn 37; zur Flüchtlingsfeindschaft in Wien vgl. Beatrix Hoffmann-Holter, ›Abreisendmachung‹. Jüdische Kriegsflüchtlinge in Wien 1914 bis 1923, Wien 1995, S.136–140; zu den ostjüdischen Kriegsflüchtlingen in Wien vgl. Klaus Hödl, Als Bettler in die Josefstadt. Galizische Juden auf dem Weg nach Wien, Wien, u. a. 1994, Kapitel N und O.

Ethnisch und sozial geprägte Vorurteile erhielten unter den Bedingungen des Ausnahmezustands mehr Wirkungskraft, weil rechtliche Schutzmechanismen nicht mehr länger funktionierten, wie die beiden Fälle Klebkowska und Olánski zeigen. Aus Sicht des Ministeriums waren die Einspruchsmöglichkeiten überflüssig geworden, weil sich die souveränen Entscheidungen des Ministeriums wie der Unterbehörden am Gemeinwohl und am Interesse der Betroffenen orientierten, auch wenn die Umsetzung fallweise verfahrenstechnisch fehlerhaft sein mochte. So liest man in der Verantwortung zur Ausweisung von Frau Klebkowska, dass »bei Durchführung dieser im Interesse der Kriegsführung wie auch im allgemeinen Interesse der Flüchtlinge selbst getroffenen Maßnahme Seitens der in Betracht kommenden Polizeiorgane nicht immer richtig vorgegangen worden sein mag […]«

RGE 1916, Nr. 2224, S.75.

Die an der Beurteilung von klar strukturierten Ab – läufen geschulten Stimmführer waren von der neuen Entscheidungskultur in der Verwaltung sichtlich überfordert. Das zeigte sich etwa in der Einschätzung der Rechtssache durch den Referenten des Reichsgerichts Johann Zácék. Das Ministerium habe keine Ausweisung mit Drohung von Zwangsmaßnahmen angeordnet, so Zácék, deshalb könne dagegen auch kein Einspruch beim Reichsgericht geltend gemacht werden. Das Ministerium habe sogar das Ansuchen der Klägerin positiv beschieden. Die Ausweisung als eigentlicher Gegenstand der Klage wurde ja vom Polizeikommissariat ausgesprochen:

»Wo habe man bewiesen, dass das Ministerium von der Ausweisung des Polizeikommissariates vom 7. August Kenntnis hatte? Wenn nur die telefonische Weisung des Ministeriums vorläge, könnte man überhaupt nicht sagen, dass die Beschwerdeführerin ausgewiesen wurde. Denn wenn sie noch länger geblieben wäre und dann ausgewiesen worden wäre, dann hätte sie Recurs ergreifen können.«

Nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 16.02.1916, f. 21. Dieser Auffassung stimmte Karl Pelser v. Fürnberg zu, indem er argumentierte: »Es sei eine Fiktion, dass die Ausweisung auf Grund einer allgemeinen Anordnung des Ministeriums und die Gewährung der Aufenthaltsverlängerung eine Entscheidung des Ministeriums über die Ausweiseng sei.« (f. 21)

Zácék, ehemaliger Minister und Mitglied des Herrenhauses, konnte sich eben eine Welt von Regierung und Verwaltung, in der – wie in der Zeit des Ausnahmezustands – die kleinen Souveräne eine bedeutsame Rolle spielten, nicht vorstellen. Die von ihm vorgeschlagene Strategie hätte im Wien der Kriegszeit erhebliche Nachteile mit sich gebracht. Das zeigt etwa der Fall Olánski. Stanislaus Olánski war ein aus Lemberg stammender Realitätenbesitzer sowie Druckerei- und Bankdirektor, der mit seiner Familie kurz vor dem Einmarsch der russischen Armee nach Prag floh. Von dort übersiedelte er alleine am 14. März 1915 nach Wien, weil er unter Vermittlung seines Schwagers eine Stelle als Setzer gefunden hatte. Obwohl er aufgrund seiner Berufstätigkeit selbst für sich sorgen konnte, erhielt er sofort eine Vorladung der Polizeibehörde. Der Polizeibeamte forderte ihn zum Verlassen Wiens innerhalb von 8 Tagen auf. »Auf die Frage, ob er dagegen ein Rechtsmittel ergreifen könne, habe der Polizeibeamte erklärt: ›Nein! Es besteht eine allgemeine Weisung.‹«

AT-OeStA/AVA Justiz RG A 117, nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 08.05.1916, f. 5.

Olánski entschied sich für ein Gesuch beim Ministerium, das er am 21. März einbrachte. Am 27. März trat die Polizei erneut in Aktion. Ein Agent führte ihn zum Kommissariat, wo er zur sofortigen Abreise aufgefordert wurde. Als er auf sein Ministerialgesuch hinwies, eröffnete ihm der Beamte, dass dieses bereits abgewiesen sei.

RGE 1916, Nr. 2239, S.245.

Olánski wurde außerdem die Überstellung in das Barackenlager in Leibniz angedroht, sollte er Wien nicht zeitgerecht Wien verlassen.

Das Fehlen einer schriftlichen Verfügung über die Ausweisung, wie im vorliegenden Fall, verstand Starzyński als einen absichtlichen Verfahrensfehler, um »die Beschwerden an das Reichsgericht unmöglich zu machen … Daraus müsse die Konsequenz gezogen werden, daß das Reichsgericht sich diesen Tric nicht gefallen lasse, sondern die Angelegenheit als ausgetragen betrachte.«

Nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 16.02.1916, f. 19.

Man muss wohl dem Einspruch des Stimmführers Gustav Scharfen von Hennedorf zustimmen, der die Annahme einer gezielten Strategie des Ministeriums als »lächerlich« bezeichnete.

Nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 16.02.1916, f. 20.

Dennoch ist an der Einschätzung von Starzyński mehr als nur ein wahrer Kern. Das Ministerium und die in seinen Unterbehörden tätigen kleinen Souveräne waren nicht darum bemüht, den Menschen einen Zugang zu den verbliebenen rechtsstaatlichen Sicherungen zu ermöglichen. Fehler im Verfahren und die Anwendung des ›kurzen Prozesses‹ führten zu einer schleichenden Entrechtung der Bürgerinnen und Bürger, was deren Unterstellung unter die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen erleichterte.

Die Notstandsproblematik des Ersten Weltkriegs führte erstmals dazu, dass die Freiheitssphäre des Privateigentums und der Wirtschaft systematisch infrage gestellt wurden: Boldt, »Ausnahmezustand«, S.418 f.

Starzyński bewies ein feines Gespür für die Folgen des Ausnahmezustands auf die Tätigkeit des Reichsgerichts. Um die Stimmführer im Fall Klebkowska für eine Unterstützung der Klage zu gewinnen, malte er ein düsteres Bild der Zukunft: »Das Reichsgericht müsste dann auch liquidieren und seine Pforten schliessen, wenn es sich fügen würde …«

Nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 16.02.1916, f. 20.

Seine Warnungen wurden in den Wind geschlagen – die Abstimmung war denkbar knapp; die Mehrheit der Stimmführer entschied sich für eine Abweisung der Klage wegen Nichterschöpfung des Instanzenzugs. Die weitere Entwicklung gab Starzyński allerdings recht. Die Zahl der Verfahren, in denen die Verletzung ›politischer‹ Rechte verhandelt wurden, reduzierte sich dramatisch.

Zum Reichsgericht als Vorläufer eines »Grundrechtsgerichtshofes« vgl. Stourzh, »Verfassungsgerichtsbarkeit«, S. 170.

Stieg die Anzahl der pro Jahr wegen Grundrechtsverletzungen vor dem Reichsgericht eröffneten Verfahren vor dem Krieg bis auf 44, so sank diese Zahl auf 6 während der Kriegszeit, wie eine statistische Auswertung der Erkenntnisse zeigt.

Der Fall Gürtler: der diskrete Charme der Dienstpragmatik

»Man müsse das Gesetz, das vom Geiste der Billigkeit durchzogen sei, auch billig auslegen. Die Abweisung des Klägers wäre die größte Unbilligkeit.«

Stellungnahme des Ersatzmanns Julius Ofner zur Klage des k.k. Postkontrollors Sigmund Gürtler gegen das k.k. Handelsministerium, nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 05.10.1916, f. 19.

Am Donnerstag, dem 5. Oktober 1916, während die Kämpfe in Siebenbürgen und Galizien tobten, die achte Isonzoschlacht kurz bevorstand, die österreichisch-ungarische Armee ihre selbstständige Entscheidungskompetenz zunehmend verlor und sich die Versorgungslage verschlechterte, tagte in Wien am Schillerplatz das Reichsgericht. Es setzte sich am Beginn seiner Sitzung mit der Frage auseinander, ob dem k.k. Postkontrollor Siegmund Gürtler aus Wien bei der Einführung der Dienstpragmatik ein unzulässiger Nachteil entstanden sei. Die Rechtslage war eindeutig, die Zuordnung von Gürtlers Laufbahn zu den Regelungen der Dienstpragmatik und der Durchführungsverordnung des Handelsministeriums jedoch deutungsoffen. Angesichts dessen plädierte der Reichsratsabgeordnete Julius Ofner für eine verständnisvolle – »billige« – Lösung.

Die Klage des k.k. Postkontrollors Siegmund Gürtler vor dem Reichsgericht gegen seinen Dienstgeber, den Staat, war begründet in der sogenannten Lückenkompetenz dieses obersten Gerichts, das heißt in der Zuständigkeit für jene Konfliktfälle, in denen weder die Verwaltungsbehörden noch die regulären Gerichte zuständig waren. Finanzielle Ansprüche von einzelnen Personen an den Staat gehörten dazu; sie wurden fast ausschließlich von Beamten und Staatsdienern geltend gemacht.

Lehne, »Rechtsschutz«, S. 681–684; vgl. dazu auch Megner, Beamte, S. 278, der auf den nicht seltenen Erfolg dieser Klagen hinweist.

Die Forderungen von Staatsdienern an die Gesamtheit der Königreiche und Länder machten in Friedenszeiten, lange bevor die Dienstpragmatik in Kraft trat, bereits den überwiegenden Teil der reichsgerichtlichen Tätigkeit aus (s. Grafik 1).

Die Entscheidungen des Reichsgerichts beeinflussten auch die Bestimmungen wie sie in die Dienstpragmatik aufgenommen wurden. Vgl. dazu Lehne, »Rechtsschutz«, S. 684.

Mit der Gehaltsreform des Jahres 1873 setzte eben die Verrechtlichung der Beamtenbesoldung ein,

Es war dies, laut John Deak die Zeit, in der sich die Verwaltung konsolidierte und expandierte. Die hier angesprochene Verrechtlichung kann als ein wichtiges Element in diesem übergreifenden Prozess gesehen werden: Vgl. dazu Deak, Forging a Multinational State, S. 177–198.

das eröffnete den Beamten auch den Weg zum Reichsgericht, das sich »bei Klagen durch Aktive und Pensionisten in Rang-, Gehalts- und Pensionsangelegenheiten gegen die Regierung für kompetent [erklärte].«

Megner, Beamte, S. 113.

Grafik 1

Ansprüche einzelner Personen an das ›Reich‹ (blau: absolute Zahlen, grün: Anteil an der Gesamtzahl der Verfahren)

In der Grafik sind nachgewiesen die »Entscheidungen über einen zur Austragung im ordentlichen Rechtswege nicht geeigneten Anspruch des öffentlichen Rechtes … an die Gesamtheit der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder (beziehungsweise wider das k.k. Staatsärar oder die k.k. Gesamtregierung oder eines der k.k. Ministerien), von seiten einzelner Personen«. Die blaue Linie gibt die absoluten Zahlen wieder, die grüne Linie das Verhältnis dieser Zahlen zur Gesamtzahl aller Verhandlungen. Für die statistische Auswertung wurde das systematische Register als Quellengrundlage herangezogen.

Während des Krieges nutzte das Reichsgericht seine Lückenkompetenz in strategischer Art. Die Zuständigkeit im Hinblick auf die materiellen Interessen der Beamten war unumstritten. Doch waren die Staatsdiener bei Weitem nicht die einzige Gruppe, die legitime Ansprüche an den Staat geltend machen konnte. Die Kriegerwitwen und Kriegswaisen, die Ehefrauen und Kinder von Männern, die noch aktiv an den Kämpfen teilnahmen – sie hatten Unterhaltsansprüche, deren Höhe häufig umstritten war. In der nichtöffentlichen Sitzung des Reichsgerichts vom 3. Oktober 1916 flammte eine heftige Debatte über die Kompetenz des Gerichts hinsichtlich dieser Fälle auf. Pattai, Pininski und Grabmayr stellten sich auf den Standpunkt, dass das Reichsgericht hier grundsätzlich kompetent sei. Pelser erachtete dagegen das Reichsgericht nicht als qualifiziert genug, wobei er diese Einschätzung nicht mit einem formalen, sondern einem materiell-rechtlichen Argument begründete: »… weil es gar nicht in der Lage sei, über die hiebei vorkommenden Fragen zu entscheiden, und durch die Annahme der Klagen würde nur eine Schädigung der Parteien eintreten, da sie die Frist für den Verwaltungsgerichtshof versäumen würden …«

Pattai brachte die generelle Haltung des Kollegiums in dieser Frage auf den Punkt, als er nach seinem Hinweis auf die maßgebliche Kompetenz des Reichsgerichts mit der Bemerkung schloss: »… doch stimme er aus Opportunitätsgründen für die Zurückweisung wegen Inkompetenz.« Welche Opportunitätsrücksichten hier in Betracht kamen, machte Pininski in seinem Redebeitrag klar: Das Reichsgericht könne es sich nicht leisten, die Kompetenz in diesen Fällen zu beanspruchen, »… weil tausende von Fällen einlangen würden.« Für das Kollegium ging es nun darum, eine Begründung zu finden, die den Kompetenzrahmen der Institution nicht im Analogieweg in späteren Fällen einschränken könnte. Der Vorsitzende Grabmayr schlug deshalb als Begründung vor: »… weil der Anspruch nicht unter Art. 3a fällt.«

Nichtöffentliche Sitzung des RG vom 03.10.1916, f. 8 f.

Das Verfahren vor dem Reichsgericht unterlag klaren Verfahrensregeln, wofür die Beamten ja großes Verständnis hatten. Sie präsentierten ihre Anliegen deshalb als Rechtsfragen.

Ich möchte mit diesem Hinweis einen Gedanken von Waltraud Heindl fortführen. Sie macht eine interessante Beobachtung zu den politisch tätigen Beamten, die man unschwer auch auf die Beamten anwenden kann, die vor dem Reichsgericht ihren Arbeitgeber klagten: »Die (hohen) Bürokraten waren selbstverständlich als die gebildeten Staatsbürger par excellence in Gesetz und Recht bewandert … und dadurch dafür prädestiniert, politische Verantwortung zu übernehmen …« (Heindl, Josephinische Mandarine, S. 94)

Nur in wenigen Fällen lässt sich ein ähnliches Verwischen von Genregrenzen wie im Fall Kubitschek feststellen, der sich ja als opferwilliger Mitarbeiter der Steuerverwaltung ganz im Sinne eines Majestätsgesuchs inszeniert hatte. Der Großteil der Kläger beschränkte sich auf die Darstellung des Sachverhalts, flocht eventuell Hinweise auf eine besonders leistungsorientierte Dienstführung ein und begründete im Rückgriff auf die Dienstpragmatik, auf frühere einschlägige Gesetze und Verordnungen sowie auf die Judikatur des Reichsgerichts seine Ansprüche. Aus diesem Grund bieten diese Verhandlungen kein neues Fenster auf Lebens- und Arbeitsverhältnisse von Beamten, schon gar nicht Einblicke in deren private Ansichten über Staat und Regierung.

Für mich sind diese Verhandlungen alleine durch ihre Existenz aufschlussreich. Die vor dem Reichsgericht ihre Interessen durchsetzenden Beamten kamen aus unterschiedlichen Kronländern, waren in Finanz- und Justizbehörden ebenso tätig wie im Bereich der sogenannten politischen Verwaltung. Der Subalternbeamte klagte ebenso seine Rechte ein wie der juristisch gebildete Konzeptbeamte. Was motivierte diese rasch steigende Zahl von Beamten dazu, nach Beginn des Kriegs eine Klage gegen den Staat einzureichen, der im Moment der höchsten Bedrängnis auf die unbedingte Loyalität seiner Beamten vertrauen musste? Das hatten die Stimmführer des Reichsgerichts ja im Fall Kubitschek kritisch angemerkt. Die Loyalität der zahlreichen Kläger, die eine Höherstufung im Bereich der Gehaltsstufen und/oder eine günstigere Anrechnung ihrer Verdienstzeiten erreichen wollten, wurde nicht infrage gestellt. Solche Klagen zählten zu den Verfahren mit einer relativ langen Tradition – anders als Kubitscheks Forderung der Rückerstattung von Reisekosten.

Jeder klagende Beamte wollte eine materielle Besserstellung erreichen. Dass dies auf dem Rechts- und nicht auf dem Gnadenweg angestrebt wurde, hing mit der Verabschiedung der Dienstpragmatik (DP) im Jahr 1914 zusammen. Sie kodifizierte die Rechte und Pflichte der Beamten, bestimmte das Verfahren in Disziplinarsachen und legte Qualifikationserfordernisse, Urlaubsanspruch und den Modus der Zeitvorrückungen fest.

Megner, Beamte, S.133–142; »… als ein Abkommen zwischen den Arbeitnehmern, den Staatsdienern und dem Arbeitgeber, dem Staat … war sie ein modernes sozialpolitisches Instrument«, wie Waltraud Heindl argumentiert: Heindl, Josephinische Mandarine, S. 141.

Die Klagen der Beamten dokumentieren eine profunde Kenntnis der DP. Sie war offensichtlich für einen Teil der real existierenden Beamten und nicht nur für Heimito von Doderers literarische Fiktion des Amtsrats Zihal eine wichtige Lektüre geworden.

Zur Bedeutung der Dienstpragmatik in der literarischen Fiktion vgl. Becker, »Macht, Gewalt und deren Kontrolle«, S. 130–136.

Was bedeutet das für die Stellung der Beamten innerhalb der Bürokratie und für ihre Position zwischen Regierung und Bevölkerung? Kann man ihre Leidenschaft für die Dienstpragmatik als zusätzliches Indiz für den von Josef Redlich so heftig beklagten Verlust des »Kontakts mit den gesellschaftlichpolitischen Kräften der Bevölkerung« deuten?

Redlich, Österreichische Regierung und Verwaltung, S. 153.

Die DP stellte Anhaltspunkte für die Beamten bereit, sich selbst innerhalb eines komplex strukturierten Systems zu positionieren und ihre Erwartungen an den Dienstgeber mit den tatsächlich erhaltenen Leistungen abzugleichen. Das war nicht ihre ursprüngliche Bestimmung. Als Kodifikationsprojekt sollte sie das bestehende normative Wissen über die Beamten als ein ganz spezifisches »Wissen des Staates«

Vgl. dazu Peter Collin, Thomas Horstmann, »Das Wissen des Staates – Zugänge zu einem Forschungsthema«, in: Dies. (Hg.), Das Wissen des Staates. Geschichte, Theorie und Praxis, Baden-Baden 2004, S. 9–38, bes. S.9–14.

zusammenfassen und den »zur Entscheidung berufenen Stellen« (Kielmansegg) als Handhabe dienen. Das von der DP kodifizierte Wissen wurde aber auch von den Betroffenen begierig aufgegriffen und in ihrer Argumentation vor dem Reichsgericht gekonnt gegen die Entscheidungen der vorgesetzten Stellen eingesetzt.

Staatliches Handeln beruht ja auf Wissen, das registriert, kategorisiert und aufbereitet wird. Die Verwaltung ist der sich zunehmend ausdifferenzierende Apparat, der dieses Wissen generiert, prozessiert und anwendet. Die Wissensproduktion ist jedoch selbst auch rechtlich geregelt, weil die dafür entwickelten Schnittstellen normativ programmiert sind. Erst auf dieser Grundlage können amtliche Erhebungen zur Inanspruchnahme von Leistungen der Verwaltung und zu politisch relevanten Merkmalen von Wirtschaft und Gesellschaft wie Sprachgebrauch, Schulbesuch, Ein- und Ausfuhrtätigkeit regelmäßig vorgenommen werden. Als datenverarbeitende Einrichtung nutzte die staatliche Verwaltung nicht nur mehr oder weniger kompetent die verfügbaren Instrumente,

Im 19. Jahrhundert handelte es sich dabei um Schreib-, Registratur- und Organisationstechnologien, die selbst Gegenstand heftiger Reformdebatten waren: vgl. dazu Peter Becker, »›… dem Bürger die Verfolgung seiner Anliegen erleichtern‹. Zur Geschichte der Ver waltungsreform im Österreich des 20. Jahrhunderts«, in: Heinrich Berger, et al. (Hg.), Politische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert. Zeitgeschichte, Zeitgeschehen und Kontroversen. Festschrift für Gerhard Botz, Wien 2011, S. 113–138, bes. S. 118–121.

sondern war selbst, wie der britische Wissenssoziologe Jon Agar zeigt, eine Organisations- und Informationsverarbeitungstechnologie mit Vorbildwirkung für die Entwicklung der Informationstechnologie.

Jon Agar, The Government Machine. A Revolutionary History of the Computer, Cambridge, Mass. 2003, S. 3.

Die solcherart zum Vorläufer des Computers avancierte Staatsmaschine zeichnete sich durch ein hohes Maß an Selbstbeobachtung aus. Vermittelt über die statistische Dokumentation der eigenen Tätigkeit, wie beispielsweise der Anträge auf Konzessionen, Baugenehmigungen, Unterstützungsleistungen etc., konnten Rückschlüsse über wirtschaftliche und soziale Entwicklungen gemacht und entsprechende staatliche Interventionen geplant werden.

Die Beamten als Schnittstelle zwischen dem System der Verwaltung und dessen Umwelt waren Subjekte und Objekte dieser Selbstreflexion. Als Funktionsträger waren sie in das Wechselspiel zwischen normgeleiteter Aktenerledigung und sekundärer Beobachtung ihrer Tätigkeit eingebunden. Die Kontemplation über die eigene Einstufung, Vorrückung und über die gewährten Zulagen kann als eine spezifische Form dieser Selbstbeobachtung verstanden werden. Die Beamten nutzten dabei das normative Wissen der DP, das sie mehr oder weniger geschickt auf die eigene Situation anwandten. Sie produzierten dabei weder Aufschlüsse über die Systemumwelt der Verwaltung noch Anregungen für Verfahrensänderungen. Der Gegenstand ihrer intellektuellen Anstrengungen war ausschließlich die Regelanwendung der vorgesetzten Stellen bei der Umsetzung der Dienstpragmatik.

Die DP verstärkte die schon fast zwanghafte Auseinandersetzung mit der eigenen Position innerhalb der Verwaltungshierarchie.

Vgl. dazu die Bemerkungen von Kleinwaechter über die Strategien von jüngeren Beamten, die sogenannten Vordermänner für Stellen außerhalb der Verwaltung zu gewinnen, um dadurch den Weg frei zu bekommen für einen rascheren Aufstieg: Kleinwaechter, Der fröhliche Präsidialist, S.309–314.

Die vor dem Reichsgericht ausgetragenen Fälle waren somit Beispiele einer völlig solipsistischen Form der Selbstwahrnehmung, in der amtliche Ordnungsschemata zum zentralen Bezugspunkt der Selbstbestimmung wurden und das in Zeiten der »unablässigen Betonung der patriotischen Pflichten des Einzelnen sowie der verschiedenen Berufe und Gesellschaftsklassen, mit allen verfügbaren moralischen und materiellen Kräften die Armee im Felde zu unterstützen …«

Redlich, Österreichische Regierung und Verwaltung, S. 154.

Die Verabschiedung der DP war nicht verantwortlich dafür, dass sich eine zunehmende Zahl von Beamten in eine Parallelwelt zurückzogen, in der die Durchsetzung ihres Rechts auf eine bessere Einstufung zu einem wichtigen Bezugspunkt wurde. Sie ermächtigte die Beamten jedoch dazu, anstatt auf Gnade auf ihr Recht zu setzen, das sie vor dem Reichsgericht durchsetzen konnten.

Die Kompetenz des Reichsgerichts zur Entscheidung über Ansprüche von Beamten an den Staat war lange umstritten.

Das Finanzministerium richtete in den 1870er-Jahren Appelle an das Reichsgericht, »es möge staatsmännische Einsicht zeigen« und die Opposition der Subalternbeamten nicht weiter durch seine Rechtsprechung zu unterstützen: Megner, Beamte, S. 124.

Die Regierungsvertreter wiederholten bis Ende 1916 gebetsmühlenartig den Einspruch gegen die Kompetenz des Reichsgerichts, das diese Frage in jedem Fall aufs Neue diskutierte. Die Entscheidung war für das Reichsgericht nicht schwer zu treffen, war es doch selbst die letzte Instanz, die darüber urteilen konnte.

Vgl. Gumplowicz, Österreichisches Staatsrecht, S. 155.

Problematisch war für die Stimmführer nur die Konkurrenz mit dem VwGH in Fragen der DP. Julius Ofner wies in einer Verhandlung am 14. Februar 1916 auf die »Depression« hin, »die im Publikum über die Eifersucht der beiden Gerichtshöfe herrsche …« Als Kriterium für die Abgrenzung gegenüber die Zuständigkeit des VwGH schlug er den Begriff des ›Anspruchs‹ vor: »Es sei zweifelhaft, ob das Wort ›Anspruch‹ auch den Anspruch auf Ernennung eines Beamten in sich schlösse. Gemeint seien zunächst wirtschaftliche Ansprüche und solche Ansprüche gegen den Staat, die gegen denselben wie gegen einen Privaten gerichtet sind.«

AT-OeStA/AVA Justiz RG A 117, nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 14.02.1916, f. 4.

Der k.k. Postkontrollor Siegmund Gürtler stellte ganz offensichtlich einen Anspruch an den Staat als seinen Dienstgeber; dabei handelte es sich um rein materielle Interessen – keine Uniform, Orden oder andere Auszeichnungen, auch keine sonstigen symbolischen Formen der Anerkennung: Er wollte eine Erhöhung seines Gehalts durchsetzen. Wenn man sich in seine Forderungen vertieft, so wie das die Stimmführer des Reichsgerichts machten, eröffnet sich eine komplex strukturierte Welt von Beförderungen und Vorrückungen. Gürtler begann seine Karriere bei der Post als Postexpeditorsaspirant im Jahr 1889, absolvierte noch im selben Jahr die Prüfung als Postexpeditor und wurde nach fast einjähriger Tätigkeit in dieser Funktion als Manipulationsdiurnist in die Telegrafen-Zentralstation nach Wien versetzt. In seiner weiteren Laufbahn setzte er diesen raschen Aufstieg fort: 1892 Ernennung zum Postassistenten, 1897 Beförderung zum Postoffizial, 1907 zum Postoberoffizial, 1911 schließlich zum Postkontrollor. Seine Karriere schlug sich in einem entsprechenden Gang durch Rangklassen und Gehaltsstufen nieder.

RGE 1916, Nr. 2257, S.485–487.

Gürtler war ein gut bezahlter Beamter mit einem Basisgehalt von 3600 K und einer Aktivitätszulage in der Höhe von 1380 K, die als eine Art Wohngeld verstanden werden kann. Er sah sich dennoch um eine nicht gewährte Vorrückung in höhere Gehaltsstufen betrogen, weil die vorgesetzte Behörde seine Vordienstzeit als Postexpeditor und Diurnist nicht eingerechnet hatte. Der Vertreter der Regierung betonte in seiner Erwiderung, dass eine solche Einrechnung von Vordienstzeiten nur dann möglich sei, wenn der Betroffene »eine mindestens dreijährige Dienstzeit vor seiner Ernennung zum Postassistenten … vollstreckt hat.«

RGE 1916, Nr. 2257, S.487.

Gürtler hatte aber nur eine Vordienstzeit von 2 Jahren, 6 Monaten und 8 Tagen. Sollte Gürtler somit für seinen Eifer, seine guten Qualifikationen und seine rasche Beförderung bestraft werden? Das war jedenfalls die Unterstellung des Klagevertreters bei der mündlichen Verhandlung.

Der spitzzüngige Kritiker der österreichischen Bürokratie, der galizische Beamte Josef Olszewski, hätte den Fall Gürtler vor Augen haben können, als er die verderblichen Folgen eines derart mechanistischen Systems der Beförderung geißelte. In den folgenden Ausführungen kommen die Schattenseiten einer durchgängigen Verrechtlichung und eine dadurch bedingte Formalisierung von Ansprüchen deutlich zum Ausdruck:

»Es gibt Kategorien des Staatsdienstes, in welchen der grösste Fleiss, Fähigkeiten und Energie in der Arbeit nichts helfen, sondern man muss unbedingt eine gewisse genau vorgeschriebene Anzahl von Dienstjahren durchmachen, um auf eine höhere Stufe in der Hierarchie zu gelangen. Braucht man sich wundern, dass der Beamte unter solchen Umständen in eine Art von Schlafsucht verfällt und apathisch abwartet, bis er auch im Zuge der periodischen Beförderungen an die Reihe kommt.«

Josef Olszewski, Bureaukratie, Würzburg 1904, S. 166.

Das Reichsgericht evaluierte die berufliche Karriere von Gürtler aus der von Olszewski kritisierten Perspektive und nahm dessen Leistungen nicht zur Kenntnis. Das Gericht ging von der ›Normaldienstzeit‹ für die Beamtengruppe C aus, »in welche der Kläger eingeteilt ist.« Für seine Dienstzeiten in den Rangklassen XI bis IX wurde er von der vorgesetzten Behörde regelkonform eingestuft. Selbst die 9 Monate Überdienstzeit wurden bei der Vorrückung in die Rangklasse VIII berücksichtigt. Schwierig war die Frage, wie man die Dienstzeit handhaben sollte, die vor der Ernennung zum Postassistenten absolviert wurde? Laut Gesetz war nur jene Dienstzeit zu berücksichtigen, die mindestens der Normaldienstzeit von 3 Jahren entsprach – und die der Kläger durch seine vorzeitige Beförderung knapp verpasst hatte. Innerhalb des Reichsgerichts gingen die Meinungen auseinander, wie man einen solchen Fall beurteilen sollte. Reichsratsabgeordneter Ofner mahnte in seiner oben zitierten Stellungnahme »Billigkeit« ein. Die Dienstpragmatik war aus seiner Sicht ein Gesetz, das nicht zur Benachteiligung von Beamten geschaffen wurde. Deshalb unterstützte er die Klage. In der Abstimmung gab es eine ganz seltene Pattsituation, in der die Stimme des Vorsitzenden entschied. Dieser votierte für eine Abweisung, um dem Wortlaut des Gesetzes Genüge zu tun.

Nichtöffentliche Sitzung des Reichsgerichts vom 05.10.1916, f. 20.

Die Klagen der Beamten vor dem Reichsgericht eröffnen den Blick auf eine solipsistische Verwaltung, die sogar ihre sekundäre Beobachtung auf die Verfahrensregeln richtete, mit denen die Regeln zum Management der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehandhabt wurden. Einzelne Beamte fanden sich durch die DP und die Zuständigkeit des Reichsgerichts dazu ermächtigt, die Anwendung dieser Regeln auf ihre eigenen Fälle zu hinterfragen. Dadurch erhielt die Selbstbezüglichkeit der Verwaltung, auf die bereits der britische Journalist Henry Wickham-Steed hingewiesen hatte,

Vgl. dazu Deak, Forging a Multinational State, S. 178.

eine demokratische Komponente. Die vor dem Reichsgericht klagenden Beamten durchbrachen die paternalistische Logik, die gerade den Staatsdienst bestimmt hatte. Diese kommt in der Direktive von Kielmansegg aus dem Jahr 1895 zum Ausdruck. Er wies die Beamten auf ihre Verpflichtung hin, »ihre Wünsche und Beschwerden im Dienstweg, das ist durch ihre unmittelbaren Vorgesetzten, an die zur Entscheidung berufenen Stellen gelangen zu lassen …« Denn diese Stellen waren, wie die Direktive weiter ausführte, »zur thunlichsten Wahrung der Interessen ihrer Untergebenen verpflichtet …«

Wiener Zeitung 11.08.1995, S. 1.

Wenn man diesen Gedanken fortführt, lässt sich die Provokation besser zuordnen, die mit den Klagen vor dem Reichsgericht für die Ministerien verbunden war. Die Kläger verweigerten sich der freiwilligen Unterordnung unter die Deutungshoheit der vorgesetzten Stellen, die aus der eigenen Sicht kompetent und verantwortungsbewusst die Vorgaben der DP anwandten. Die Kläger verletzten durch ihr Vorgehen außerdem die ethisch-moralischen Erwartungen an die Beamten, die Ministerpräsident Stürgkh zu Beginn des Kriegs formuliert hatte. Das Verhalten der vor dem Reichsgericht klagenden Beamten belegt, dass ein neues Verständnis von staatlicher Verwaltung zur Denkmöglichkeit geworden war und das Verhalten von Beamten bestimmen konnte. Der Staatsapparat erschien dabei als ein abstrakter Regelmechanismus, den ein gut ausgebildeter Beamter selbstständig erkennen und für sich zugänglich machen konnte.

Ein solcher Staatsdiener war deshalb weder auf Gnade des Monarchen noch auf das großzügige Verständnis seiner vorgesetzten Dienststellen angewiesen. Er konnte seine Interessen als Rechtsansprüche notfalls auch gegen den monarchischen Staat durchsetzen. Das war die eigentliche Herausforderung, die mit der Verrechtlichung der Beamtenstellung und mit der Klagemöglichkeit vor dem Reichsgericht verbunden war. Auf dieser Grundlage ließ sich ein Staatsapparat auch ohne Monarch denken – eine wichtige Voraussetzung für den friktionslosen Übergang von der Monarchie zur Republik.

Redlich, Österreichische Regierung und Verwaltung, S.289 sah die Ursachen selbst in den Folgen des allgemeinen Wahlrechts und der dadurch bewirkten »Entfesselung« der nationalen, sozialen und demokratischen Ideen.

Schluss

Joseph Redlichs Bonmot von der Habsburgermonarchie als dem »alten Reich der verwirklichten Unwahrscheinlichkeiten« hat meine Auseinandersetzung mit der Veränderung von Staat und Verwaltung in der Zeit des Ersten Weltkriegs angeleitet. Bestimmt von dem kulturwissenschaftlichen Interesse für Praxisformen, Selbstverständnis und Handlungsorientierung von Beamten habe ich mich nicht auf die Ebene staatsrechtlicher und philosophischer Reflexion begeben, sondern bin in die faszinierenden Geschichten, Debatten und Entscheidungen des Reichsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs eingetaucht. Dort finden sich komplex strukturierte Geschichten, die von einer spannungsreichen Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen Beamten und dem Staat beziehungsweise dem Monarchen erzählen.

Die Attraktivität dieses Quellenbestands besteht einerseits darin, dass Konflikte in rechtsförmige Sachverhaltsdarstellungen übersetzt und als Rechtsprobleme diskutiert und entschieden werden. In ihren Übersetzungen artikulieren die Klägerinnen und Kläger ihre legitimen Erwartungen an den Staat, die in den Gegenschriften von den Ministerien auf der Grundlagen einer alternativen Deutungslogik widerlegt werden. Die Debatten der Stimmführer griffen die Argumente von beiden Seiten auf und entschieden auf der Grundlage einer juristischen Reflexion auf höchstem Niveau. Dadurch vermitteln diese Verhandlungen spannende Einblicke in Vorstellungen vom Staat und seinem Handeln, in denen die neue Kultur der Maßnahmen und des Dezisionismus mit Rechtskonstrukten der Vorkriegszeit amalgamiert wurden. Als Beispiel dafür habe ich am Fall Weiß auf die rechtliche Fiktion hingewiesen, die das ›Imperium der Kriegswirtschaft‹ mit den Vertragsverhältnissen der Marktwirtschaft in eine widersprüchliche Beziehung setzte.

Die Verhandlungen vor den obersten Gerichten während der Zeit des Ersten Weltkriegs sind andererseits alleine durch ihre Existenz aufschlussreich. Sie dokumentieren augenscheinlich, dass der Ausnahmezustand in einer höchst eigenartigen Symbiose mit dem Fortbestand rechtsstaatlicher Sicherungsmechanismen existierte. Das war ganz offensichtlich eine der verwirklichten Unwahrscheinlichkeiten, wie der Fall Klebkowska belegt. Anhand dieses Sachverhalts konnte ich auf eine weitere Unwahrscheinlichkeit hinweisen. Die rechtsstaatlichen Sicherungsmechanismen wurden durch die Eigenmächtigkeit und die Verfahrensverletzungen der ›kleinen Souveräne‹ ausgehebelt, gegen die selbst das Ministerium machtlos war. Diese Beobachtung erhält erst ihre eigentliche Sprengkraft, wenn man sie vor dem Hintergrund einer Kultur der hierarchischen Subordination interpretiert, die in der Bürokratie der Kriegszeit hochgehalten wurde.

Die Unterordnung der Beamten unter die Deutungshoheit der vorgesetzten Stellen war bereits vor Beginn des Kriegs brüchig geworden. Maßgeblich dafür war die Verrechtlichung des Dienstverhältnisses. Es ermächtigte die Beamten dazu, ihre Ansprüche gegen den Staat vor dem Reichsgericht durchzusetzen. An die Stelle des untertänigsten Majestätsgesuchs trat nun die Klageschrift, die sich ab dem ersten Kriegsjahr auf die Interpretation der Dienstpragmatik stützen konnte. In den Kriegsjahren war das Reichsgericht fast ausschließlich mit den Klagen von Beamten gegen den Staat beschäftigt. Diese ›verwirklichte Unwahrscheinlichkeit‹ provozierte bei den Stimmführern vereinzelt – wie etwa beim Fall Kubitschek – eine derart starke Irritation, dass ethische und politisch motivierte Erwartungen an die Beamten in den hehren juristischen Diskurs eindringen konnten. Loyalitätsfragen waren unterschwellig immer präsent, auch wenn sie nicht direkt angesprochen wurden. Die intensive Beschäftigung der Beamten mit den Bestimmungen der DP, wie sie in den Fällen Kubitschek und Gürtler sichtbar wird, war Ausdruck einer stark selbstbezüglichen Verwaltung, die von ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zunehmend als abstrakter Regelmechanismus, der auch ohne den Kaiser als Referenzpunkt funktionieren konnte, verstanden wurde.

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