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Stereotypes in health professional students – perspectives for research about interprofessional learning, teaching and working / Stereotype von Lernenden in den Gesundheitsprofessionen – Perspektiven für die Forschung zum interprofessionellen Lernen, Lehren und Arbeiten


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Einleitung

Lernende in den Gesundheitsprofessionen bereits in ihrer Ausbildung zu interprofessioneller Zusammenarbeit zu befähigen, gilt inzwischen als wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche ergebnisorientierte und patientenzentrierte Gesundheitsversorgung (WHO, 2010; SVR, 2007; Walkenhorst et al., 2015). Vor diesem Hintergrund sind in den vergangenen Jahrzehnten international zahlreiche Projekte zur Förderung des interprofessionellen Lernens, Lehrens und Arbeitens angestoßen worden. Zugleich hat sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema intensiviert (Paradis et al., 2017; Reeves et al., 2012, 2010). Auch in den deutschsprachigen Ländern wurden in jüngerer Zeit entsprechende Qualifizierungs-, Entwicklungs- und erste Forschungsinitiativen auf den Weg gebracht. Hinzuweisen ist etwa auf die Förderinitiative „Operation Team“ der Robert-Bosch-Stiftung, in deren Kontext zahlreiche interprofessionelle Qualifizierungsmaßnahmen erprobt und reflektiert werden (http://www.bosch-stiftung.de). Trotz derartiger Initiativen besteht in den D.A.CH.-Ländern – Deutschland, Österreich und der Schweiz – im Vergleich zu Nordamerika, Asien und einigen anderen europäischen Ländern noch immer Nachholbedarf bei der Auseinandersetzung mit dem Thema (Ewers & Reichel, 2017).

Wie wenig insbesondere in (bildungs-)wissenschaftlicher Hinsicht Anschlussfähigkeit besteht, zeigt exemplarisch der Diskurs über die Bedeutung von Stereotypen für das interprofessionelle Lernen, Lehren und Arbeiten. Stereotype sind „festgefügte, oft wertende und emotional gefärbte Urteile über Personen, Gruppen, Ereignisse oder Gegenstände, die sich auf nur wenige und oberflächlich beobachtbare Merkmale gründen“ (Tenorth & Tippelt, 2012, S. 693). Sie haben Einfluss auf Einstellungen, Verhalten sowie Entscheidungen in sozialen Interaktionen und beruflichen Kontexten (Petersen & Six, 2008). Im Alltagssprachgebrauch geht der Stereotypenbegriff meist mit einer negativen Konnotation einher, zumal er häufig eng an den Vorurteilsbegriff geknüpft wird (ebd.). Häufig folgt daraus die Annahme, dass Stereotype ungünstige Wirkungen in sozialen Kontexten haben und zu abschätzigen Verhaltensweisen führen. Grundsätzlich können Stereotype aber sowohl positiv als auch negativ konnotiert sein, oftmals sind sie ambivalent (Cuddy et al., 2008; Fiske et al., 2002). Durch ihren Einfluss auf die Aufmerksamkeitslenkung haben sie selbstverstärkenden Charakter, gelten daher als relativ robust und sind, wenn überhaupt, nur auf Basis einer ausgeprägten Rollendistanz veränderbar (Tenorth & Tippelt, 2012; Machunsky, 2008). Stereotype werden in vielen Situationen automatisch aktiviert, ohne dass die Konsequenzen für Wahrnehmung und Verhalten bewusst werden (Schmid Mast & Krings, 2008). Durch kontrollierte Verarbeitung, entsprechende Motivation, Selbstreflexion und kognitive Ressourcen können sie jedoch modifiziert und ihr ungefilterter Einfluss auf das Verhalten begrenzt werden (ebd.). Aus diesen Grundannahmen ergibt sich die Relevanz von Stereotypen für interprofessionelle Lern-, Lehr- und Arbeitskontexte. Dabei ist die Analyse der Stereotype aller an diesen Situationen beteiligten Akteure bedeutsam; denn Lehrende und in der Praxis tätige Angehörige der Gesundheitsprofessionen prägen im Sinne des Modelllernens die berufliche Sozialisation der Lernenden und können somit zur generationsübergreifenden Verfestigung stereotyper Vorstellungen beitragen. Im Zentrum dieses Beitrags stehen jedoch die (Rollen-) Stereotype der Lernenden, weil diese letztlich doppelt wirksam werden. Zum einen können sie das Handeln und die Kommunikation der Lernenden in interprofessionellen Lehr-Lerneinheiten beeinflussen, zum anderen die Qualität interprofessioneller Zusammenarbeit nach Berufseintritt (Cook & Stoecker, 2014).

Inhalte, Verbreitung und soziale Konsequenzen von selbstzugeschriebenen Autostereotypen und fremdzugeschriebenen Heterostereotypen sowie deren Entstehung, Wirkung und Funktion sind Gegenstand der Stereotypenforschung. Dabei handelt es sich um ein multidisziplinäres Forschungsfeld, in dem die zuvor genannten Aspekte aus soziologischer, sozial- und kognitionspsychologischer sowie linguistischer Perspektive in den Blick genommen werden. Eine hieran anknüpfende Forschung zu Stereotypen von Lernenden gegenüber ihrer eigenen und „fremden“ Gesundheitsprofessionen wird international seit den 1990er-Jahren durchgeführt (expl. Carpenter, 1995; Barnes et al., 2000; Hind et al., 2003; Hean et al. 2006a, 2006b; Michalec et al., 2013). Einerseits geht es darum, Stereotype Lernender in den Gesundheitsprofessionen zu erfassen sowie deren Auswirkungen auf die Qualifizierung und spätere Praxis zu reflektieren. Andererseits sollen die Wirkungen interprofessioneller Lehr-Lernangebote auf diese Stereotype evaluiert werden. In den D.A.CH-Ländern werden Stereotype von Lernenden in den Gesundheitsprofessionen bisher allenfalls im Rahmen von Lehr-Lerninitiativen thematisiert. Eine tatsächliche Stereotypenforschung mit Blick auf die Gesundheitsprofessionen hat sich noch nicht etabliert. Folglich ist über die Stereotype von Lernenden in den Gesundheitsprofessionen im deutschsprachigen Raum kaum etwas bekannt. Die Reflexion und ggf. Modifikation von insbesondere negativen Stereotypen Lernender werden zwar als notwendig angesehen und punktuell auch in Projekten aufgegriffen (Nowak et al., 2016; Reichel et al., 2016; Wershofen et al., 2016); sie sind aber weder Grundlage noch Gegenstand empirischer Forschung. Auch eine theoretische Auseinandersetzung mit diesem Thema ist derzeit allenfalls ansatzweise zu erkennen.

Fragestellung und zielsetzung

Vor diesem Hintergrund wurde gefragt, welche theoretischen Zugänge für die Bearbeitung des Themas „Stereotype Lernender in den Gesundheitsprofessionen“ genutzt werden, welche methodischen Herangehensweisen favorisiert werden und welche empirischen Befunde über Stereotype Lernender in den Gesundheitsprofessionen aktuell vorliegen. Ziel ist es, weiterführende Überlegungen zur Übertragbarkeit und Anschlussfähigkeit vorliegender Erkenntnisse anzustellen, Forschungslücken zu identifizieren und konkrete Ansatzpunkte für Forschungsinitiativen zu diesem Thema aufzuzeigen.

Methode

Zur Beantwortung der Fragestellung wurde ein narratives Literaturreview durchgeführt. Da in diesem Zusammenhang neben empirischen auch theoretische Diskurse von Interesse waren, wurde eine breitangelegte Recherche in unterschiedlichen wissenschaftlichen Kommunikationsforen durchgeführt. Zunächst erfolgte bis Juni 2017 eine Recherche in einschlägigen Datenbanken (CINAHL, Medline, Psychinfo, Eric, SocIndex) zu den Schlagwörtern health care students and stereotyp*, health professional students and stereotyp*, healthcare professionals and stereotyp*, health professionals and stereotyp* und professional stereotypes. Eine zeitliche Einschränkung wurde nicht vorgenommen, um die wissenschaftliche Bearbeitung des Themas auch longitudinal nachzeichnen zu können. Es wurden englisch- und – soweit vorhanden – auch deutschsprachige Publikationen berücksichtigt. Die erste Suche ergab initial 1720 Ergebnisse. Nach Sichtung von Titel und Abstract wurden Reviews, quantitative und qualitative (Evaluations-)Studien aufgenommen, die sich mit Stereotypen von Lernenden in der gesundheitsberuflichen Ausbildung über ihre eigene oder andere Gesundheitsprofessionen beschäftigten. Eine Einschränkung der Gesundheitsprofessionen wurde nicht vorgenommen. Ausgeschlossen wurden Publikationen, die sich mit Stereotypen examinierter bzw. graduierter Angehöriger der Gesundheitsprofessionen beschäftigten, und/oder Beiträge, in denen Stereotype über andere als die oben benannte Gruppe untersucht wurden (bspw. Alters-Geschlechter-Stereotype, Stereotype über bestimmte Patientengruppen). Um insbesondere auch die mit dem Thema in Verbindung stehenden theoretischen Überlegungen erfassen zu können, wurden parallel per Handsuche internationale (Lehr-)Bücher zum interprofessionellen Lehren und Lernen gesichtet. Abschließend wurden im Schneeballsystem aus den Literaturnachweisen der gesichteten wissenschaftlichen Veröffentlichungen weitere Publikationen mit thematischer Relevanz zur Fragestellung identifiziert.

Die recherchierte Literatur wurde nach Art, Zeitpunkt und Land der Veröffentlichung geordnet. Anschließend wurden die 34 ermittelten empirischen Publikationen hinsichtlich ihres methodischen Zuganges und Designs analysiert. Zugleich erfolgte eine vergleichende Sichtung der empirischen Befunde, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit Blick auf die beobachteten Wirkungen herauszuarbeiten. Darüber hinaus wurde geprüft, ob die Arbeiten theoretische Bezüge hergestellt haben und an welche Disziplinen und Theoriebestände dabei angeknüpft wurde. Die jeweils angegebene Referenzliteratur wurde gesichtet, um tiefere Einblicke in die theoretischen Bezüge zu erhalten und zentrale Aspekte für den Diskurs über Stereotype Lernender in den Gesundheitsprofessionen im interprofessionellen Kontext auszumachen. Auf diese Weise und durch die vorstehend angesprochene Handsuche internationaler (Lehr-)Bücher zum interprofessionellen Lehren und Lernen konnten weitere 14 Publikationen identifiziert werden, die Ausführungen und Verknüpfungen zu den angewendeten Theorien enthielten. Die einzelnen Befunde wurden zusammengetragen und mit Blick auf die leitende Fragestellung deskriptiv-analytisch aufbereitet.

Ergebnisse

Die Auseinandersetzung mit der Literatur zeigt in der Gesamtschau, dass die Erforschung von Stereotypen von Lernenden in den Gesundheitsprofessionen theoretisch vorwiegend sozialpsychologisch orientiert und methodologisch nahezu ausschließlich theorietestend bzw. quantitativ-empirisch ausgerichtet ist. Heterogene Studiendesigns und Messinstrumente machen eine Generalisierung und einen Vergleich der Befunde nur eingeschränkt möglich. Was die tatsächliche Beeinflussbarkeit von Stereotypen Lernender in den Gesundheitsprofessionen im Rahmen von Qualifizierungsinitiativen betrifft, liegen widersprüchliche Befunde vor. Die Ergebnisse werden im Folgenden dargestellt.

Theoretische Bezüge

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Stereotypen von Lernenden in den Gesundheitsprofessionen erfolgt auf Grundlage der hier gewonnenen Erkenntnisse im Wesentlichen unter Rückgriff auf sozialpsychologische Theorien, konkret die Contact Theory (Allport, 1979), die Social Identity Theory (Tajfel & Turner, 1986) und ihre Erweiterung um die self-categorization Theory (Turner et al., 1987). In aktuelleren Einzelpublikationen werden zudem das Stereotypen Content Modell (Cuddy et al., 2008; Fiske et al., 2002, 2006) und die antizipatorische Sozialisation (Shields, 2002) herangezogen. Dass eine Veränderung von Stereotypen durch interprofessionelles Lehren und Lernen bewirkt werden kann, wird nahezu durchgängig mit der Kontakthypothese begründet. Diese Theorie besagt, dass der Kontakt zwischen Gruppen zum Abbau bestehender Vorurteile bzw. intergruppaler Konflikte führt (Allport, 1979). Gemeinsame übergeordnete Ziele, Kooperation, gleicher Status zwischen den Gruppen, normative Strukturen sowie nicht zuletzt Freiwilligkeit müssen die Kontaktsituation kennzeichnen, damit sie erfolgreich sein kann (Allport, 1979). Werden diese Faktoren auch bei der Entwicklung interprofessioneller Lehr-Lernmaßnahmen berücksichtigt, hat dies – diesem Ansatz folgend – positive Veränderungen von Stereotypen und auch Einstellungsänderungen bei den Lernenden zur Folge (Carpenter & Dickinson 2016; Hean, 2009). Mit welchen konkreten Maßnahmen in der Kontaktsituation der Abbau von Vorurteilen bzw. die Modifikation von Stereotypen erreicht werden kann, beantwortet Allport’s Theorie nicht. Kognitive Veränderungen im Sinne von Wissensaneignung über die jeweils „fremde Gruppe“ scheinen nur geringen Einfluss zu haben, während der Umgang mit und die Bearbeitung von affektiven Komponenten wie bspw. Angst oder Ärger maßgeblich über Abbau oder Verstärkung von Vorurteilen entscheiden (Pettigrew et al., 2011).

Weniger zur Erklärung der Veränderbarkeit, als vielmehr zur Erforschung und gleichzeitigen Erklärung der Stereotype und Einstellungen der Lernenden in den Gesundheitsprofessionen übereinander bzw. zueinander werden die Theorie der sozialen Identität und die der sozialen Kategorisierung herangezogen (Michalec et al., 2013; Hean 2009; Hean et al., 2006a, 2006b; Mandy et al., 2004; Hind et al., 2003; Hewstone et al., 1994). Die zentrale Annahme dieser beiden Theorien ist, dass wir uns selbst und andere nach Zugehörigkeit in bestimmten sozialen Gruppen kategorisieren. Mit dem übergeordneten Ziel der Selbstbestätigung wird die eigene Gruppe („wir“) mit der anderen Gruppe („die“) verglichen. Das führt zum einen zu einer bewussten intergruppalen Differenzierung und zum anderen zu einer, zumindest in Teilaspekten, positiveren Bewertung der eigenen Gruppe (Turner, 1999; Kreindler et al., 2012). In interprofessionellen Lehr-Lern- und Arbeitskontexten sind es besonders die Identifikation mit der eigenen Berufsgruppe (professionelle Identität) und die damit verbundenen professionsspezifischen Werte, Normen und Merkmale (Hean, 2009; Adams et al., 2006), die unser Verhalten und unsere Einstellung bestimmen. Neben externen Bedingungen wie z.B. institutionelle Strukturen und Arbeitsphilosophie sind es in erster Linie unterschiedliche Status- und Machtpositionen, die über Konflikt oder friedliche Co-Existenz entscheiden (Tajfel & Turner, 1986; Kreindler et al., 2012).

Status und Macht sind auch zentrale Kategorien des empirisch gestützten Stereotypen-Content-Modells (SCM) (Cuddy et al., 2008; Fiske et al., 2002, 2006). Diese theoretische Orientierung fußt einerseits auf der zentralen Annahme, dass Stereotypinhalte mehrheitlich ambivalent sind, und andererseits darauf, dass Stereotype sich entlang der zwei universalen Dimensionen „Herzlichkeit“ (z.B. gutmütig, sympathisch, warmherzig) und „Kompetenz“ (z.B. eigenständig, konkurrenzfähig, kompetent) beschreiben lassen. Die wahrgenommene Konkurrenz zur anderen Gruppe und der wahrgenommene Status sind dabei prädiktiv für deren Einschätzung auf der Kompetenz- und Herzlichkeitsdimension. Aus der zweidimensionalen Bewertung von Gruppen ergeben sich vier verschiedene Stereotype, deren kognitive Struktur mit bestimmten affektiven Reaktionen einhergeht und schließlich zu unterstützenden oder konkurrierenden Verhaltensweisen gegenüber anderen Gruppen führt (Abb. 1.) (Fiske et al., 2002, Cuddy et al., 2008).

Andere Erklärungsansätze interessieren sich vor allem für den Zeitpunkt oder Zeitraum, zu dem oder in dem sich Auto- und Heterostereotype von Lernenden in den Gesundheitsberufen herausbilden und verfestigen. Beispielsweise zeigen die empirischen Befunde, dass Studierende bereits mit differenzierten Stereotypen ihre Ausbildung starten (Michalec et al., 2013; Hean et al. 2006a, 2006b; Rudland & Mires, 2005; Tunstall-Pedoe et al., 2003). Eine Erklärung dafür sehen Michalec et al. (2013) in der antizipatorischen Sozialisation. Übertragen auf den gesundheitsberuflichen Bildungskontext besagt sie, dass familiäre und insbesondere individuelle Lebensereignisse bereits vor Beginn der beruflichen Ausbildung zur Formung von konkreten Sichtweisen und Überzeugungen über die einzelnen Gesundheitsprofessionen führen (ebd.). Als eine Schlussfolgerung daraus werden insbesondere frühe Ausbildungsphasen als ein günstiger Anknüpfungspunkt für die Reflexion von Stereotypen angesehen.

Forschungsbilanz und methodische Annäherung

Die empirischen Arbeiten, die im Rahmen dieses narrativen Reviews identifiziert werden konnten, erstrecken sich über einen Zeitraum von 50 Jahren (1964–2015), wobei die Mehrzahl in der Zeit von 1995 bis 2015 verfasst wurde. Ein Großteil der wissenschaftlichen Arbeiten stammt aus dem nordamerikanischen und britischen Raum. Einzelne Publikationen ließen sich auch für Dänemark, Italien, Neuseeland, Australien, Singapur und Israel identifizieren. Zwei Publikationen stammen aus Deutschland.

Insgesamt ist die bisherige Forschung zu Auto- und Heterostereotypen von Lernenden in den Gesundheitsberufen stark quantitativ-empirisch geprägt. Gründe hierfür sind sicherlich in der sozialpsychologischen Fundierung und Orientierung der Stereotypenforschung zu sehen.

Mehrheitlich werden in den einschlägigen Forschungsarbeiten traditionelle Verfahren der Stereotypenmessung aufgegriffen. Einige der dabei eingesetzten Instrumente nutzen Ratingskalen zur abgestuften Beurteilung über das Vorhandensein bestimmter vorgegebener Merkmale in einer Gruppe, wie etwa die Health Care Stereotype Scale (HCSS) (Carpenter, 1995) und der Student Stereotypes Rating Questionnaire (SSRQ) (Barnes et al., 2000; Hean et al., 2006a). Andere Instrumente sind nach dem Prinzip des Stereotypendifferenzials konstruiert, bei dem die Einschätzung einer Gruppe anhand vorgegebener bipolarer Adjektivpaare erfolgt, hierzu zählen die Health Team Stereotype Scale (HTSS) (Parker & Reisch, 1981; Parker & Chan, 1986) und der Attitudes to Health Professions Questionnaire (AHPQ) (Lindqvist et al., 2005b). Vereinzelt wurden auch studienspezifische quantitative Instrumente zur Stereotypenerfassung eingesetzt (Bruhn et al., 1964; Martin et al., 1967; Harris, 1981; Ryan & McKenna, 1994; Ben Natan, 2009). Die wenigen qualitativ-empirischen Erhebungen nutzten für die Datenerhebung entweder halboffene leitfadengestützte Interviews (Nisbet et al., 2008; Ajjawi et al., 2009; Derbyshire & Machin, 2011) oder offene schriftliche Befragungen (Boggatz et al., 2010).

Aufgrund der unterschiedlichen Studiendesigns ist es schwer, die vorhandenen empirischen Befunde über Stereotype von Lernenden in den Gesundheitsprofessionen zu vergleichen bzw. zu generalisieren. Die Studien erfolgten zu unterschiedlichen Zeitpunkten, mal am Beginn, mal am Ende der Ausbildung. Die eingesetzten Instrumente differieren hinsichtlich der Merkmale bzw. Charakteristika, die sie messen. Es wurden unterschiedliche Professionen in den Blick genommen, häufig aber Humanmedizin und Pflege. Einige Studien erfassten die stereotypen Vorstellungen der Lernenden in den Gesundheitsprofessionen über andere Lernende in den Gesundheitsprofessionen, andere wiederum die Stereotype der Lernenden über die Professionen als solche. Manchmal wurden nur Merkmalszuschreibungen über eine Fremdgruppe (Heterostereotype), manchmal zusätzlich über die eigene Gruppe (Autostereotype) und bisweilen auch wahrgenommene Stereotype über die eigene Gruppe erhoben (Cook & Stoecker, 2014). Zudem unterscheiden sich die Studien hinsichtlich ihrer Intention. So ließen sich neben rein deskriptiven Querschnittserhebungen auch Evaluationsstudien identifizieren, die durch Prä- und Postmessungen nicht nur die vorhandenen Stereotype Lernender erheben, sondern auch deren Veränderung infolge interprofessioneller Interventionen im Zeitverlauf in den Blick nehmen.

Erkenntnisse aus quantitativ-empirischer Forschung

Die vorliegenden Befunde aus quantitativempirischen Studien zeigen oftmals, dass Ärzte von Lernenden nichtärztlicher Professionen bei den Items „Fachkompetenz“, „akademische Fähigkeiten“, „Vertrauen“ und „Entscheidungsfähigkeit“ sehr hoch bewertet werden (Michalec et al., 2013; Hean et al. 2006a, 2006b). Außerdem zeichnen sich Ärzte aus Sicht der Lernenden insbesondere durch ihre Führungseigenschaften aus, während ihre Teamfähigkeit und Sozialkompetenz im Vergleich niedriger eingestuft werden (ebd.). Dieser Heterostereotyp deckt sich weitestgehend mit der Selbsteinschätzung der Medizinstudierenden (Hean et al., 2006b; Sollami et al., 2015). In der einzigen quantitativen Erhebung aus Deutschland beschreiben Medizinstudierende ihre eigene Profession als besonders fähig, vertrauenswürdig, zuverlässig, selbstbewusst, sympathisch und mächtig (Schrauth et al., 2009).

Im Vergleich zu Pflegenden schätzen Medizinstudierende ihre Profession kompetenter, leistungsstärker, arroganter und selbstsicherer ein. Darüber hinaus schätzten sie die Professionalität und das gesellschaftliche Ansehen von Ärzten/-innen höher ein (Rudland & Mires, 2015). Die Ergebnisse von Sollami et al. (2015) weisen ambivalente Hetero- und Autostereotype von Lernenden in der Medizin und Pflege auf. Angehende Mediziner/-innen beurteilen ihre eigene Profession als weniger herzlich und sehr kompetent und werden so auch von den Pflegenden gesehen. Pflegestudierende bewerten sich hoch auf der Herzlichkeitsdimension und niedriger auf der Kompetenzdimension und werden so auch von den Medizinstudierenden eingestuft.

Lernende anderer Professionen (z.B. Physio-, Ergotherapeuten/-innen, Hebammen) schreiben Pflegenden neben guten praktischen Fähigkeiten ebenfalls eine hohe Sozialkompetenz und Teamfähigkeit zu. Die Führungseigenschaften von Pflegenden werden häufig geringer bewertet – ähnlich wie die von Physio- und Ergotherapeuten/-innen (Michalec et al., 2013; Hean 2006a, 2006b). Physiotherapeuten/-innen werden sowohl ausgeprägte praktische Fähigkeiten (Michalec et al., 2013; Hean 2006a, 2006b) zugeschrieben als auch Eigenschaften wie zuverlässig, erfahren, schnell, schwierig, herausfordernd, wohlhabend und zielgerichtet (Kamps et al., 1996). Ergotherapeuten/-innen zeichnen sich aus Sicht der Studierenden durch ihre hohe Sozialkompetenz aus (Michalec et al., 2013; Hean, 2006a, 2006b) und werden zugleich als kollegial, kreativ, bescheiden, unterschätzt und zurückhaltend eingestuft (Kamps et al., 1996).

Auf Basis von Einzelbewertungen erstellte Eigenschaftsprofile zeigen, dass sich die Stereotype von Ärzten/-innen und Apothekern/-innen sehr ähneln, ebenso wie die von Sozialarbeitern/-innen, Hebammen und Pflegenden. Die größten Unterschiede zeigen sich zwischen Ärzten/-innen und Pflegenden (Hean et al., 2006a; Lindqvist et al., 2005a, 2005b).

Neben der reinen Inhaltsbeschreibung von Stereotypen Lernender wurde in einigen quantitativ-empirischen Studien zusätzlich der Frage nachgegangen, inwiefern sich die Stereotype Lernender über die jeweils anderen Professionen tatsächlich voneinander unterscheiden. Die Befunde zeigen, dass Lernende in den Gesundheitsprofessionen bereits zu Beginn ihrer Primärqualifizierung über differenzierte, signifikant verschiedene disziplininterne und -übergreifende Heterostereotype verfügen und eine intergruppale professionsspezifische Differenzierung vornehmen (Michalec et al., 2013; Hean et al., 2006b). Weiterhin belegen die Befunde eine Favorisierung der eigenen Profession, mitunter bereits zu Studienbeginn (Katz et al., 2001; Kamps et al., 1996; Streed & Stoecker, 1991; Parker & Chan,1986; Michalec et al., 2013).

Was den Zusammenhang zwischen Auto- und Heterostereotyp, professioneller Identität und der Bereitschaft zum interprofessionellen Lernen angeht, gibt es in der Forschung Hinweise darauf, dass ein positiver statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Autostereotyp und professioneller Identität sowie zwischen Auto- bzw. Heterostereotyp und der Bereitschaft zum interprofessionellen Lernen existiert (Hind et al., 2003).

Erkenntnisse aus qualitativ-empirischer Forschung

Gemessen an diesen quantitativen Befunden, liegen aus der qualitativ-empirischen Forschung vergleichsweise wenige Erkenntnisse zum Thema vor. Tendenziell lassen sie eine Divergenz zwischen Fremd- und Selbstbildern Lernender in den Gesundheitsprofessionen erkennen. Widersprüche zwischen den Auto- und Heterostereotypen interpretieren die Autoren/-innen als Anzeichen bzw. Anlass für Konfliktsituationen zwischen den Professionen (Boggatz et al., 2010; Ajjawi et al., 2009; Rudland & Mires, 2005). So werden Studierenden der Zahnmedizin eher negative Attributionen wie gewinn- und geldorientiertes Handeln oder mangelnde klinische Kompetenz zugeschrieben; aufgrund dieses Stereotyps fühlen sie sich von angehenden Medizinern/-innen nicht wertgeschätzt (Ajjawi et al., 2009). In einer deutschen Erhebung zeigte sich, dass Lernende in der Pflege und Physiotherapie sich selbst jeweils als kommunikativ, freundlich und motiviert beschreiben, der jeweils anderen Professionen aber Unfreundlichkeit, Desinteresse, Territorialdenken, Dominanz und mangelnde Kooperationsbereitschaft zuschreiben (Boggatz et al., 2010). Im qualitativen Teil der Untersuchung von Rudland & Mires (2005) betrachteten Medizinstudierende die negative Einstellung zwischen Ärzten/-innen und Pflegenden als zweithäufigste Ursache von Differenzen zwischen den Professionen. Dazu zählt aus ihrer Sicht beispielsweise auch die fatale Haltung von Ärzten/-innen, Pflegende als ihre Leibeigenen zu betrachten („nurses are their slaves“; ebd. 2005:451).

Erkenntnisse zur Beeinflussbarkeit von stereotypen

Neben der Erfassung und Darstellung von Stereotypen Lernender in den Gesundheitsberufen zu einem bestimmten Zeitpunkt interessiert in der internationalen Forschung auch, wie sich stereotype Vorstellungen im Zuge interprofessioneller Lehr-Lerneinheiten beeinflussen lassen. Diesbezüglich sind die vorliegenden empirischen Befunde sehr heterogen. Manche Maßnahmen bewirkten bei den teilnehmenden Studierenden eine statistisch signifikante positive Veränderung in der Wahrnehmung anderer Professionen (Hewstone et al., 1994; Carpenter, 1995; Ateah et al., 2011; Lindqvist et al., 2005a; Jacobsen & Lindqvist, 2009; Hawkes et al., 2013; Liaw et al., 2014; Rudd, 2014). Bei anderen hingegen konnte keine statistisch signifikante Veränderung identifiziert werden (Barnes et al., 2000). Die Evaluationsergebnisse in den Studien von Mandy et al. (2004) und Tunstall-Pedoe et al. (2003) weisen sogar eher eine Verschlechterung der stereotypen Einstellungen der Lernenden auf. Foster & Macleod Clark (2015) ermittelten sowohl minimale statistisch signifikante positive als auch negative Veränderungen sowie konstante Stereotype nach der Teilnahme an einer interprofessionellen Lehr-Lerneinheit. Die Befunde in den wenigen qualitativen Evaluationsstudien reichen ebenfalls von Abbau (Derbyshire & Machin, 2011) bis hin zur Verfestigung negativer Stereotype (Ajjawi et al. 2009, Nisbet et al., 2008). Bis auf wenige Ausnahmen (Ateah et al. 2011) erfassen alle Arbeiten Stereotype direkt vor bzw. nach den interprofessionellen Lehr-Lerneinheiten, weshalb lediglich Aussagen zur kurzfristigen Beeinflussbarkeit getroffen werden können. Zu längerfristigen Wirkungen und Kontinuität der Effekte liegen nahezu keine Befunde vor.

Diskussion

Die Literatursichtung hat interessante Einblicke in die theoretischen und empirischen Orientierungen der forschungsgestützten Auseinandersetzung mit Stereotypen von Lernenden in den Gesundheitsprofessionen vermittelt und auch erste empirische Erkenntnisse zusammengetragen. Dabei zeigten sich einerseits Anknüpfungspunkte mit Blick auf die Übertragbarkeit und Anschlussfähigkeit dieser Forschungsaktivitäten an die Entwicklungen in den D.A.CH-Ländern. Andererseits wurden aber auch Forschungslücken sichtbar, denen künftig im Kontext des interprofessionellen Lehrens und Lernens mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss.

Was die derzeit den Diskurs dominierende anwendungsorientierte Frage nach der konkreten Gestaltung interprofessioneller Qualifizierungsmaßnahmen mit Einfluss auf Stereotype von Lernenden in ihrer gesundheitsberuflichen Sozialisation betrifft, sind die vorliegenden Antworten unbefriedigend. Erstens werden die erprobten Interventionen selbst in den durchgeführten Evaluationsstudien meist nur knapp umrissen, weshalb eine bildungswissenschaftliche Einordnung schwerfällt. Zweitens fallen die Befunde über die Wirksamkeit dieser Maßnahmen sehr unterschiedlich aus. Grundsätzlich spricht jedoch einiges dafür, dass sich Stereotype durch interprofessionelle Lehr-Lernmaßnahmen zumindest kurzfristig modifizieren lassen, sofern bei der Entwicklung der Maßnahmen die bereits dargelegten Kontaktvariablen hinreichend berücksichtigt werden (Carpenter & Dickson, 2016). Über die reine Wissensaneignung über die jeweils anderen Berufsgruppen hinausgehend, sollte der Fokus dabei auf eine tiefere Reflexion und Bearbeitung der mit den Stereotypen einhergehenden Emotionen gelegt werden (Pettigrew et al., 2011). Um evidente Aussagen über die Wirksamkeit von interprofessionellen Lehr-Lerninitiativen und deren Effekte auf die Stereotype von Lernenden in der gesundheitsberuflichen Ausbildung treffen zu können, müssen entsprechende Lehr-Lerneinheiten zunächst theoriegestützt curricular entwickelt, systematisch implementiert und standardisiert umgesetzt sowie anschließend systematisch auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden. Besonders die Frage nach der Nachhaltigkeit der Effekte muss stärker empirisch in den Blick genommen werden. Dabei ist es zwingend notwendig, auch den Einfluss der parallel laufenden monoprofessionellen theoretischen und praktischen Ausbildung mitzudenken und das Wechselspiel von inter- und monoprofessionellen Lehr-Lerneinheiten im Hinblick auf die dauerhafte Beeinflussung von Stereotypen zu analysieren.

Viel dringlicher ist in den D.A.CH-Ländern jedoch, zunächst einmal überhaupt empirische Daten über die Stereotype von Lernenden in der gesundheitsberuflichen Primärqualifizierung zu generieren. Die Ausführungen zeigen, dass im deutschsprachigen Raum nur wenige und in ihrer Aussagekraft begrenzte Erkenntnisse dazu vorliegen, während insbesondere im angloamerikanischen Raum auf eine breite Datenbasis zugegriffen werden kann. Bei Betrachtung der Ergebnisse wird deutlich, welche Bedeutung Fremd- und Selbstbilder Lernender in den Gesundheitsprofessionen für das interprofessionelle Lernen, Lehren und Arbeiten haben. Sie sind nicht nur relevant, um die Ausgangslage und Notwendigkeit interprofessioneller Lehr-Lernintervention zu bestimmen, sondern auch erforderlich, um diese zielgerichtet abzustimmen. Eine Übertragbarkeit internationaler empirischer Befunde auf den nationalen Kontext ist angesichts unterschiedlicher Bildungs- und Gesundheitsversorgungssysteme sowie heterogener berufsrechtlicher, berufspolitischer und soziokultureller Verhältnisse kaum möglich. So ist etwa im Gegensatz zu den angloamerikanischen und skandinavischen Ländern die gesundheitsberufliche Primärqualifizierung zumindest in Deutschland mehrheitlich im Sekundarbereich oder auf unterschiedlichen Ebenen (schulberufliche vs. hochschulische Qualifizierung) angesiedelt, was mit anderen sozio-demographischen Merkmalen und Voraussetzungen der Lernenden (und oft auch der Lehrenden) einhergeht. Zudem unterscheidet sich die konkrete curriculare Gestaltung der gesundheitsberuflichen Ausbildungen, was andere berufliche Bildungs- und Sozialisationsverläufe zur Folge hat. Darüber hinaus sind die Lernenden in den D.A.CH-Ländern in andere Versorgungsstrukturen und -kulturen eingebunden. Sie sind traditionell streng hierarchisch strukturiert und durch rechtlich begrenzte Handlungs- und Verantwortungsspielräume der nichtärztlichen Gesundheitsprofessionen gekennzeichnet (Ewers & Schaeffer, 2012), was sowohl die professionelle Identitätsbildung wie auch die individuelle vorberufliche und sekundäre berufliche Sozialisation sowie nicht zuletzt die Wahrnehmungen der Gesundheitsprofession in der Öffentlichkeit beeinflusst. All diese Faktoren unterstreichen die Notwendigkeit einer eigenständigen empirischen Forschung zu Stereotypen von Lernenden in den Gesundheitsprofessionen, was gleichzeitig die Möglichkeit für Ländervergleiche eröffnen würde. Schließlich verdienen auch die Stereotype von Lehrenden und Praktikern in den empirischen Forschungsaktivitäten mehr Aufmerksamkeit, um ein vollständiges Bild zu erhalten.

Forschungsmethodisch kann dabei an internationale Vorarbeiten angeknüpft werden, wobei aber auch eigene Herausforderungen – insbesondere im Bereich der Instrument- und Designentwicklung – zur Bewältigung anstehen. International gibt es zwar eine Vielzahl von spezifischen, vorwiegend quantitativen Instrumenten (Health Care Stereotype Scale, Student Stereotypes Rating Questionnaire, Health Team Stereotype Scale, Attitudes to Health Professions Questionnaire), deren Übertragbarkeit und Gültigkeit für die nationale Forschung aber zunächst geprüft werden müsste. Allgemeine, bereits in deutscher Übersetzung vorliegende Instrumente zur Stereotypenmessung (Schrauth et al. 2009) bieten sich an, müssten aber für unterschiedliche Kontexte erprobt werden. Gleichzeitig wäre der Einsatz anderer Designs und auch methodischer Zugänge zu forcieren, etwa durch Rückgriff auf qualitative Methodologien oder auch Mixed-Methods-Designs (Hean, 2009). Auf diese Weise könnte ein differenzierter und tieferer Einblick in die Stereotype von Lernenden in den Gesundheitsprofessionen gewonnen werden, als er über das bloße Aufzählen von Eigenschaften möglich ist.

Weiterhin sollten empirische Studien Existenz und Ausprägung der Stereotype von Lernenden in den Gesundheitsprofessionen in unterschiedlichen Phasen ihrer Ausbildung in den Blick nehmen sowie deren Wandel in Form von Kohortenstudien auch im Zeitverlauf untersuchen. Auf dieser Basis können weitere Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wann Stereotype Gegenstand interprofessioneller Lehr-Lerninitiativen werden sollten und welchen Einflussfaktoren sie unterliegen. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass das empirisch und theoretisch begründete Zusammenspiel zwischen Kognition (Stereotyp), Emotion und Verhalten bei der Bildung von Einstellungen gegenüber anderen im bisherigen Diskurs sowohl methodisch als auch theoretisch zu wenig berücksichtigt wird (Foster & Macleod Clark, 2015). Diesem Desiderat sollte in künftigen Forschungsinitiativen in den D.A.CH-Ländern begegnet werden. Weitere Themen, die im Rahmen der Stereotypenforschung von Lernenden in den Gesundheitsprofessionen Beachtung verdienen, wären beispielsweise die Berufswahl und deren Beeinflussung durch Stereotype oder die Frage, inwiefern sich die Entscheidung für oder gegen eine Gesundheitsprofession auf die Einstellung gegenüber den jeweils anderen Professionen auswirkt (Michalec et al, 2013.)

Nachholbedarf zeigt sich schließlich auch im Bereich der Theorieentwicklung oder der theoretischen Auseinandersetzung mit Stereotypen von Lernenden in der gesundheitsberuflichen Ausbildung im interprofessionellen Kontext. International werden Theorien vorwiegend aus der Psychologie, zum Teil aus der Soziologie und Pädagogik genutzt, die auch eine interdisziplinäre Verständigung ermöglichen und für die empirische Forschung ebenso zahlreiche Anknüpfungspunkte bieten wie für die Ausgestaltung konkreter Bildungsinterventionen. Demgegenüber sind die deutschsprachigen Debatten zum Thema „interprofessionelles Lehren und Lernen“ oft noch von auffallender Theorielosigkeit geprägt. Den theoretischen Diskurs zum Thema „Stereotype von Lernenden in den Gesundheitsprofessionen“ im interprofessionellen Kontext, wie auch jenen zum „interprofessionellen Lernen, Lehren und Arbeiten“ im Allgemeinen aufzugreifen und voranzutreiben, ist dringend notwendig. Dabei gilt es zu prüfen, welche weiteren theoretischen Anleihen aus Disziplinen wie der Sozial- und Organisationspsychologie und insbesondere der Soziologie und Pädagogik gemacht werden können (Burford & Rosenthal-Stott 2017; Michalec & Hafferty, 2015; Reeves & Hean, 2012). Exemplarisch sei hier auf Theorien zur beruflichen Sozialisation hingewiesen, die in diesem Kontext bedeutsam sein könnten. Umgekehrt sollte aber auch geprüft werden, welchen Beitrag die empirische Forschung zur Theorie- und Modellbildung in diesem Feld beitragen kann. Die aufgezeigten Ergebnisse über den Zusammenhang von Stereotyp, professioneller Identität und Einstellung zum interprofessionellen Lernen und Lehren (Hind et al., 2003) bieten hierfür interessante Ansatzpunkte.

Fazit

Obwohl Stereotype von Lernenden in den Gesundheitsprofessionen für erfolgreiches interprofessionelles Lernen, Lehren und Arbeiten relevant sind, wurden sie in den deutschsprachigen Ländern bisher kaum zum Gegenstand einschlägiger Forschungsaktivitäten erhoben. Dabei lässt der internationale Diskurs zu diesem Thema interessante theoretische und empirische Perspektiven erkennen, die auch in der Forschung in den deutschsprachigen Ländern beachtet werden könnten. Konkreter Forschungsbedarf zeigt sich, wenn es um die Überprüfung von Effekten interprofessioneller Lehr-Lerninitiativen auf die Stereotype von Lernenden in der gesundheitsberuflichen Qualifizierung geht. Weiterer Anstrengungen bedarf es zudem in Fragen der Instrumentenentwicklung und Testung bestehender Instrumente sowie bei der Erprobung qualitativer Zugänge. Einerseits sollten theoretische Zugänge aus Disziplinen wie der Pädagogik, Soziologie und Psychologie für die empirische Bildungsforschung zu diesem Thema erschlossen und nutzbar gemacht, andererseits die theoriebildende Forschung zu diesem Thema vorangetrieben werden. An erster Stelle muss es jedoch darum gehen, grundlegende Erkenntnisse über die vorhandenen Auto- und Heterostereotype von Lernenden in der gesundheitsberuflichen Primärqualifizierung in den D.A.CH.-Ländern zu erarbeiten. Solche Erhebungen könnten multizentrisch, professionsübergreifend und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bildungssektoren angelegt sein und auch unterschiedliche Ausbildungsphasen in den Blick nehmen. Der Rückgriff auf sozialpsychologische theoretische Zugänge und der Einsatz direkter Verfahren der Stereotypenmessung in Kombination mit offenen Anteilen, könnten sich dabei als zielführend erweisen.

eISSN:
2296-990X
Languages:
English, German
Publication timeframe:
Volume Open
Journal Subjects:
Medicine, Clinical Medicine, other