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Wheelchair users’ perspectives on barriers in public spaces in Vienna: implications for the development of a barrier information system / Barrieren aus der Sicht von Rollstuhlnutzern/-innen im öffentlichen Raum in Wien: Implikationen für ein Barriere-Informationssystem


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Einleitung

In Österreich sind ca. 50.000 Menschen in ihrer Mobilität von einem Rollstuhl abhängig (Statistik Austria, 2007). Trotz nationaler und internationaler Bemühungen, Barrieren in den verschiedensten Lebensbereichen zu reduzieren, sind Menschen mit Mobilitätseinschränkung in ihrem öffentlichen Leben immer wieder in ihrer Partizipation behindert (Smith, Sakakibara & Miller, 2014; LaPlante & Kaye, 2010; UN, 2006). Besonders Rollstuhlnutzern/-innen wird die Fortbewegung im städtischen Raum durch Barrieren häufig erschwert oder unmöglich gemacht (Welage & Liu, 2011). Barrieren finden sich als geographische Gegebenheiten, im öffentlichen Verkehrsnetz und in der städtischen Architektur (Welage & Liu, 2011; Palisano, Shimmell, Stewart, Lawless, Rosenbaum & Russell, 2009). Barrieren wie Gehsteigkanten und unebene Untergründe sind nicht nur Hindernisse, sondern auch Gefahren im Alltag von Rollstuhlnutzern/-innen (Bennett et al., 2009). In der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) (WHO, 2001), welche auf einem biopsychosozialen Verständnis von Gesundheit basiert, wird die Gesundheitssituation eines Menschen als Ergebnis eines dynamischen Zusammenspiels unterschiedlicher Komponenten der Gesundheit (Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und Teilhabe, Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren) verstanden. In der ICF (WHO, 2001) wird von fördernden und beeinträchtigenden Umgebungsfaktoren gesprochen. Die beeinträchtigenden Umgebungsfaktoren (Barrieren) werden in dieser partizipativen Studie aus der Perspektive der Rollstuhlnutzer/-innen beschrieben. Obwohl Barrieren primär physikalischen Gegebenheiten zugeschrieben werden, beinhalten sie auch gesellschaftliche und soziale Aspekte (Schönwiese, 2011). Durch Barrieren erfahren Rollstuhlfahrer/-innen Auswirkungen auf ihre Gesundheit und Lebensqualität. Barrieren schränken Partizipationsmöglichkeiten ein, wie z.B. die Ausführung von Aktivitäten im (unmittelbaren) sozialen Umfeld. Zudem bringen sie eine erhöhte Abhängigkeit von anderen Personen mit sich. Weiters können sie Einschränkungen im sozialen Status (z.B. sind Rollstuhlfahrer/-innen vermehrt betroffen von Arbeitslosigkeit und Diskriminierung) und in ökonomischen Möglichkeiten (u.a. geringeres Einkommen und hohe Kosten für Mobilitätshilfen) mit bedingen (Smith, Sakakibara & Miller, 2014; LaPlante & Kaye, 2010; WHO, 2001).

Digitale Technologien wie ein Barriere-Informationssystem (BIS) können Rollstuhlnutzer/-innen im Alltag unterstützen, indem sie relevante Informationen zu Barrieren im öffentlichen Raum bereitstellen (Sheldon, 2003; Müller, Neis, Auer, & Zipf, 2010). Im BIS-Projekt in Wien, in dessen Kontext diese Studie durchgeführt wurde, wird ein Barriere-Informationssystem auf der Echtzeitplattform AnachB für Verkehrsinformationen entwickelt (anachb.at, 20.02.2014). Durch diese technische Hilfestellung können Rollstuhlnutzer/-innen unterstützt werden, im Alltag besser mit Behinderungen im öffentlichen Raum umzugehen. Zum Beispiel ermöglicht ein solches System, Barrieren auch auf unbekannten Wegen zu identifizieren. Das Anzeigen barrierefreier Wege auf einem Stadtplan ermöglicht es, gewählte Ziele ohne ungeplante Umwege und erhöhte Unfallgefahr zu erreichen. Damit können sich Handlungsmöglichkeiten und, damit verbunden, Verwirklichungschancen im Sinne von Chancen- und insbesondere Betätigungsgerechtigkeit erweitern (Costa, 2012 & 2013; Graf, Kapferer, & Sedmak, 2013; Sen, 2000). Betätigungsgerechtigkeit bezieht sich hier u.a. auf die Möglichkeit, auch mit körperlicher Einschränkung tun zu können, was wertvoll und sinnvoll erscheint und was in der jeweiligen soziokulturellen Umwelt von Bedeutung ist. Rollstuhlnutzer/-innen erfahren Einschränkungen hinsichtlich Betätigungsgerechtigkeit, wenn ihnen (unter anderem) durch Barrieren im öffentlichen Raum Chancen zur Teilhabe verwehrt sind bzw. sie nicht frei sind dem nachzugehen, was für sie von Bedeutung ist, was ihren Interessen, Fähigkeiten und ihrem Handlungspotential entspricht (Costa, 2012). Dies kann sowohl Freizeit, Erholung und Selbstversorgung als auch Ausbildung bzw. Beruf (Ranka & Chapparo, 1997) betreffen.

Bezugnehmend auf die Entwicklung digitaler Technologien setzt Sheldon (2003) die Gruppe der Rollstuhlfahrer/-innen in die Position der Experten/-innen, wenn es darum geht, Verbesserungen der eigenen Umwelt hinsichtlich Barrierefreiheit zu entwickeln. Auch Matthews, Beale, Picton, & Briggs (2003) weisen im Kontext einer barrierefreien Routenplanung auf die Wichtigkeit hin, neben technischen Aspekten Sichtweisen und Anforderungen der Zielgruppe – der Rollstuhlnutzer/-innen selbst – zu berücksichtigen. In ihrem MAGUS Projekt wurden folgende Barrieren als Basis für ein Informationssystem zur Routenplanung aus Sicht der Rollstuhlnutzer/-innen in Northhampton, Großbritannien, identifiziert: steile Steigungen, Stufen, hohe Gehsteigkanten, zu tiefe Abwasserrinnen, Kiesflächen, fehlende abgesenkte Gehsteigkanten, zu schmale Gehsteige, abgeschrägtes Bankett, mangelnde Wegewartung und Kopfsteinpflaster (Matthews et al. 2003).

Neben dieser umfangreichen Studie aus Großbritannien gibt es Untersuchungen zu Barrieren u.a. aus der Türkei (Evcil, 2008), Japan (Fukuda, Saito, Tsunomachi & Doutsu, 2010), Zimbabwe (Useh, Moyo & Munyonga, 2001), Kanada (Bennet et. al, 2009), den Arabischen Emiraten (Rivano-Fisher, 2004), aus Deutschland (Müller, Neis, Auer & Zipf, 2003) und den USA (Cooper, Molinero, Souza, Collins, Karmarkar, Teodorski & Sporner, 2012; Frost, Bertocci, Stillman, Smalley & Williams, 2015; Rosenberg, Huang, Simonovich & Belza, 2012). Im Gegensatz zu Matthews et al. (2003) untersuchten diese Studien Teil-Aspekte von Barrieren im öffentlichen Raum; z.B. den Zugang zu öffentlichen Gebäuden (Rivano-Fisher, 2004; Evcil, 2008; Useh et al. 2001; Übersichtsarbeit zu diesem Thema von Welage & Liu, 2011), den Zugang zu öffentlichen Gesundheitseinrichtungen (Frost et al. 2015; Fukada et al. 2010), den Vergleich von realen Gehsteigschrägen mit den laut Leitlinien zu Barrierefreiheit vorgeschriebenen Abschrägungen (Bennett et al. 2009) oder den Effekt von Steigungen und Bodenbeschaffenheit auf die Mobilität von Rollstuhlnutzern/-innen (Cooper et al. 2011).

Umfassende Daten zu Barrieren im öffentlichen Raum in Wien, welche als Basis für ein BIS genützt werden könnten, gibt es derzeit jedoch nicht. Die bisherigen Ergebnisse können aufgrund unterschiedlicher Fragestellungen in den jeweiligen Studien, möglicher struktureller Unterschiede zu Städten/Ländern bisheriger Untersuchungen sowie aufgrund möglicher Unterschiede in der Wahrnehmung von Barrieren in verschiedenen Ländern nicht direkt auf Wien übertragen werden. Im Sinne von Sheldon (2003) und Matthews (2003) ist es außerdem essentiell, die Zielgruppe, nämlich die Rollstuhlnutzer/-innen in Wien, zu befragen und sie in die Entwicklung des Systems als Experten/-innen einzubeziehen. Daher war das Ziel der vorliegenden Studie, die Barrieren im urbanen öffentlichen Raum in Wien aus der Sicht der Rollstuhlnutzer/-innen zu erheben.

Methode

Drei jeweils dreistündige Fokusgruppendiskussionen wurden mit Rollstuhlnutzern/-innen aus Wien im Herbst 2012 mit dem Ziel durchgeführt, ihre Erfahrungen in Bezug auf Barrieren im öffentlichen Raum und in Hinsicht auf die Entwicklung eines Barriere-Informationssystems zu erheben. Die Ergebnisse der Fokusgruppeninterviews wurden in die multiprofessionelle Entwicklungsgruppe des nutzer/-innenorientierten Barriere-Informationssystems (wege-finden.at, 23.01.2015) eingebracht. Für die technische Entwicklung des BIS in Wien war eine Zählung der Nennungen der einzelnen Barrieren wichtig, weshalb die vorliegende Arbeit zusätzlich zu qualitativen auch quantitative Aspekte beinhaltet.

Teilnehmer/-innen

Die Rekrutierung der Teilnehmer/-innen erfolgte über Kontakte zu Institutionen (Wiener Hilfswerk, BIZEPS, Caritas, KWP, Bundessportausschuss/Behindertensport,

Sozialstation Wieden und Meidling), über eine Einladung im Student Point-Forum der Universität Wien und direkt über Mitglieder der Forschungsgruppe. Durch ein maximal variiertes Sampling wurde auf eine heterogene Gruppenzusammensetzung hinsichtlich Geschlecht, Rollstuhltyp, Migrationshintergrund, Level an Betreuung durch Assistenten/-innen und des allgemeinen Aktivitäts-und Partizipationslevels (erhoben mittels adaptierter Physical Activity Scale nach Washburn (Washburn, Zhu, McAuley, Frogley & Figoni, 2002)) geachtet (vgl. Tab. 1).

Informationen zu den teilnehmenden Rollstuhlnutzern/-innen der Fokusgruppendiskussionen

Information zu den Teilnehmern/-innen (N=22)
Rollstuhlnutzer/-innen16 Rollstuhlfahrer/-innen6 Assistenten/-innen
Geschlecht14 Frauen8 Männer
Alter21-78 JahreMW: 47,5 J
Migrationshintergrund9 ja13 nein
Informationen zu den Rollstuhlfahrern/-innen (n=16)
Art des Rollstuhles5 elektrisch11 manuell
Unterstützung im Alltag5 ja11 nein
Aktivitätslevel im Alltagselten (1), manchmal (5), oft (10)
Krankheit/VerletzungenRückenmarksverletzungen, neuromuskuläre
Erkrankungen, Multiple Sklerose
Verwendete Verkehrsmittelöffentliche Verkehrsmittel, eigener Wagen
Fahrtendienst für Rollstuhlfahrer/-innen

Um an der Studie teilnehmen zu können, sollten die Rollstuhlnutzer/-innen mindestens 18 Jahre alt, internetaffin und kommunikationsfreudig sein, in Wien leben und Interesse an der Teilnahme am öffentlichen Leben haben (z.B. in die Arbeit gehen; ein Kino oder Restaurant besuchen und/oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen). Die Teilnehmer/-innen waren Personen, die den Rollstuhl zur eigenen Mobilitätssteigerung nutzten, sowie Assistenten/-innen von Rollstuhlnutzern/-innen.

Datenerhebung

Drei Fokusgruppen wurden von einem Forscher/-innenteam, bestehend aus Städte- und Landschaftsplanern/-innen, einer Soziologin, einem Rollstuhlfahrer sowie von Physio- und Ergotherapeuten/-innen geplant, begleitet und durchgeführt.

Die Fokusgruppen folgten stets demselben Ablauf: Nach der Begrüßung folgte die Vorstellung des Forschungsprojektes BIS und die Beschreibung der derzeitigen Projektphase. Die Teilnehmer/-innen wurden in der Teilnehmer/-innen-Information zur Studie schriftlich und zusätzlich vor Beginn der Fokusgruppendiskussion mündlich über die Studie sowie diesbezügliche ethische Aspekte aufgeklärt (s. ethische Überlegungen). In der Vorstellungsrunde der anwesenden Personen (Rollstuhlnutzer/-innen und Forscher/-innen) wurden alle Teilnehmer/-innen nach erlebten Barrieren auf deren Weg zur Fokusgruppe befragt. Anschließend wurden den Teilnehmern/-innen in jeder Gruppe 14 beispielhafte Fotos vom öffentlichen Raum in Wien gezeigt. Die Fotos wurden vorab vom Forscher/-innenteam, welchem auch eine Person mit Mobilitätseinschränkung angehörte, erstellt. Auf den Bildern waren verschiedene, für den Wiener urbanen Raum typische Settings zu sehen. Einerseits waren Fotos von Hindernissen wie einer Baustelle, einer Straße mit Pflastersteinen oder Stufen in einem Park dabei; andererseits aber auch Umweltsituationen, in denen keine klar erkennbaren Behinderungen sichtbar waren, wie beispielsweise eine Kreuzung mit Blindenleitsystem, rutschfestem Untergrund und großzügig abgeschrägten Gehsteigen. Alle Teilnehmer/-innen wurden nun aufgefordert, einBildauszuwählen und mögliche Barrieren und Hindernisse auf ihren Bildern zu identifizieren. In den folgenden moderierten Gruppengesprächen (Flick, 2012) konnten die Teilnehmer/-innen jedes präsentierte Bild und die darauf gefundenen individuellen Barrieren in der Gruppe diskutieren. Diese Herangehensweise sollte allen Rollstuhlnutzern/-innen gleichermaßen die Möglichkeit geben, ihre eigene Sicht auf Barrieren im öffentlichen Raum zu benennen.

Im zweiten Teil der Fokusgruppendiskussion nach einer halbstündigen Pause wurde der Schwerpunkt auf Erwartungen und Bedürfnisse der Teilnehmer/-innen in Bezug auf die technische Umsetzung des Barriere-Informationssystem gelegt.

Die Erkenntnisse aus der Fokusgruppendiskussion wurden auf einem Flipchart festgehalten, um so die Ansichten der Rollstuhlnutzer/-innen für die inhaltliche Bezugnahme aufeinander und für die gemeinsame Reflexion in der Gruppe präsent zu haben. In der Abschlussrunde wurden anhand der niedergeschriebenen Notizen und der präsentierten Fotos die diskutierten Inhalte zusammengefasst und den Teilnehmern/-innen abschließend die Möglichkeit gegeben, Ergänzungen einzubringen.

Datenanalyse

Die Fokusgruppendiskussionen wurden mithilfe eines digitalen Aufnahmegerätes aufgezeichnet. Während des Transkriptionsprozesses wurden die Audiodaten anonymisiert.

Die Datenanalyse erfolgte durch das Autoren/-innenteam im Sinne der Triangulation von Perspektiven auf das Datenmaterial: die Kodierungen und Kategorisierungen wurden unabhängig voneinander durchgeführt und in weiterer Folge in einem gemeinsamen Prozess bis zum Konsens verglichen (Flick, 2012). Anhand qualitativer Inhaltsanalyse wurden die Daten in einem ersten Analysedurchgang vom Erstautor ausgewertet (Flick, 2012). Aus den transkribierten Wortmeldungen der Rollstuhlnutzer/-innen wurden zunächst induktiv Kodes für genannte Barrieren gebildet (Elo & Kyngäs, 2008). Mit Hilfe eines handlungs- und partizipationsorientierten Modells, des Occupational Performance Model (Australia) (OPM(A)) (Ranka & Chapparo, 1997), wurden die Barrieren in einem weiteren deduktiven Schritt den jeweiligen Umwelten (physikalisch, sensorisch, kulturell und sozial) zugeordnet; die Barrieren der physikalischen Umwelt wurden im Detail weiter analysiert und dem multiprofessionellen Projektteam für die Implementierung in das Barriere-Informationssystem zur Verfügung gestellt.

In der Detailanalyse ergaben z.B. die physikalischen Barrieren weitere Kategorien wie physikalische Barrieren in öffentlichen Räumen und Subkategorien wie Gehsteigkanten in öffentlichen Räumen.

Aufbauend auf der Kodierung erfolgte eine Kategorisierung der Barrieren nach der Anzahl ihrer Nennungen und verschiedenen Qualitäten, über das für diese Barrieren Typische, d.h. über deren Repräsentanz und nicht über Repräsentativität dargestellt (Lamnek, 2010) (Tab. 2). Die konkrete ebd. dargestellte Gewichtung wurde durch Zählen der Nennungen der einzelnen gefundenen Kodes über alle drei Fokusgruppen hinweg erreicht.

Barrieren in offentlichen Räumen

BarrierenN%
Natürliche Barrieren469.7
Steigungen(zu steil/zu lang)469.7
Strukturelle Barrieren42890.3
Untergriinde/Bodenbeschaffenheit(zu holprig/ zu glatt)7315.4
Gehsteigkanten(zu hoch, fehlende Abschrägung)479.9
Baustellen(beidseitig/nicht angekündigt)428.9
Treppen367.6
Gehwege(zu schmal/Hindernisse am Gehweg)326.8
Schienen/Straßenbahnschienen(Unfallgefahr)306.3
Rampen(zu steil/zu kurz/zu klein)255.3
Zugänge(kein barrierefreier Zugang)234.9
Aufzüge(fehlend/funktionsuntiichtig/zu klein)224.6
Querungsmöglichkeiten bei Verkehrswegen(fehlend, zeitintensiv)224.6
Barrieren in Bezug auf offentliche Verkehrsmittel(Haltestellen)214.4
Barrierefreie Parkplätze (fehlend/blockiert)194.0
Abgeschrägtes Bankett (zu hohe Neigung)153.2
Tore (Durchgang gesperrt/nicht möglich)132.7
Fahrradwege (Breite/fehlende Übergänge)71.5
Verkehrsampeln (nicht einsehbar)10.2

Anmerkung. Die fettgedruckten Barrieren wurden in allen drei Fokusgruppen thematisiert.

Das thematische Zusammenfassen der Kodes ergab eine Aufiistung von Kategorien (unterschiedliche Barrieren) mit deren qualitativen Beschreibungen (vgl. Tab. 2), welche in Folge durch die Aussagen der Teilnehmer/-innen als Direktzitate ergänzt wurden. Barrieren, die in allen drei Fokusgruppen vorkamen, wurden zusammengefasst, da deren unabhängige Nennung in allen drei Gruppen die Bedeutung dieser Aussagen nochmals verdeutlicht (Tab. 2).

Projektpartner/-innen und Ethische Aspekte

Die Studie ist Teil des, BIS – Barriere-Informationssystem’ Projekts, welches im Rahmen des Forschungsförderungsprogramms ways2go vom bm:vit gefördert wurde. BIS-ProjektpartnerInnen waren PlanSinn, Ovos Media, Verkehrsbund Ost-Region VOR/ IST Vienna Region, Prisma Solutions, Sonja Gruber und Heinrich Hoffer.

Die Studie wurde von der Ethikkommission der Universität Wien hinsichtlich der Beachtung sämtlicher ethischer Standards (Helsinki Deklaration (WMA, 2013) wie Anonymisierung der Daten, Freiwilligkeit, Aufwandsentschädigung und der Möglichkeit, jederzeit aus der Studie auszusteigen, begutachtet und genehmigt (04.09.2012, EK Nr.: 1667/2012). Der partizipative Zugang, welcher von der Konzeption der Studie bis zur Darstellung und Diskussion der Ergebnisse umgesetzt wurde, war ein Grundwert der Studie (UN, 2006; Wright, 2012).

Ergebnisse
Informationen zu den Rollstuhlnutzern/-innen

Insgesamt konnten 22 Personen für die Teilnahme an der Studie gewonnen werden. Die Teilnehmer/-innen teilten sich in 16 Rollstuhlfahrer/-innen und sechs Assistenten/-innen von Rollstuhlfahrern/-innen auf und werden in weiterer Folge als Rollstuhlnutzer/-innen zusammengefasst angegeben. Details zu den Charakteristika der Teilnehmer/-innen sind in Tabelle 1 ersichtlich.

Umweltbezogene Barrieren der Rollstuhlnutzer/-innen

Die in allen drei Fokusgruppen identifizierten Barrieren betrafen vor allem physikalische, soziale und kulturelle Umweltaspekte. Die physikalische Umwelt wie z.B. Gehsteigkanten wurde am häufigsten als Barriere genannt (524 von 697 Gesamtnennungen (GN); 75,18 % der GN). Die soziokulturelle Umwelt wurde als Synthese aus den Konstrukten der sozialen und kulturellen Umwelt gebildet; dieser wurden auch gesetzliche Bestimmungen zugeordnet (z.B. das Verbot, bestimmte Wegstrecken zu befahren). Barrieren in der soziokulturellen Umwelt machten4,88 % der GN aus. Die dritte Kategorie, die sich aus dem OPM(A) ergab, waren Nennungen von Barrieren in der sensorischen Umwelt. Dazu zählten beispielsweise schlecht beleuchtete Straßen, welche mit drei Nennungen nur 0,43 % der GN ausmachten. Die restlichen 19,51 % der Nennungen wurden induktiv aus den Wortmeldungen gebildet. Diese waren mangelnde Umweltinformationen (7,75 % der GN) wie beispielsweise nicht vorhandene Hinweisschilder; Menschen in der Umwelt (7,89 % der GN) wie z. B. Passanten/-innen, die den Weg versperren; und der eigene Körper in der Umwelt (3,87 % der GN) wie die eigene körperliche Einschränkung. Alle Kategorien (siehe Abbildung 1) mit Ausnahme der sensorischen Umwelt wurden in allen drei Fokusgruppen genannt.

Abbildung 1

Ubersicht aller genannten umweltbezogenen Barrieren (697 Gesamtnennungen)

Physikalische Umwelt

Da in der physikalischen Umwelt jene Barrieren genannt wurden, welche für das BIS relevant sind, wurden diese weiter analysiert und aufgeschlüsselt. Es ergaben sich anhand der Wortmeldungen der Teilnehmer/-innen fünf Subkategorien (siehe Abbildung 2): Erstens die öffentlichen Räumemit 453 Nennungen (86,45 % aller in der physikalischen Umwelt genannten Barrieren); als zweites folgten die Barrieren im öffentlichen Verkehr mit 31 Nennungen (5,92 %), wobei sich diese in Barrieren in Bezug auf Haltestellen (N = 21) und Barrieren in Bezug auf die Verkehrsmittel (N = 10) aufteilen lassen; drittens Umleitungen mit 18 Nennungen (3,44 %); viertens die Art des Rollstuhles (elektronischer bzw. mechanischer Rollstuhl) mit zwölf Nennungen (2,29 %); und fünftens die wetterabhängigen Barrieren mit zehn Nennungen (1,90 %).

Abbildung 2

Unterteilung der Barrieren in der physikalischen Umwelt (524 Nennungen)

Barrieren in öffentlichen Räumen

Von den fünf Kategorien der physikalischen Umwelt werden die öffentlichen Räume für die Implementierung in das Barriere-Informationssystem benötigt, um barrierefreie Wege anzeigen zu können. In öffentlichen Räumen wurden natürliche Barrieren (Steigungen), und baulich-strukturelle Barrieren als Subkategorien identifiziert. Baulich-strukturelle Barrieren wurden in weitere 15 Subkategorien unterteilt (siehe Tabelle 2), welche Einfluss auf die Mobilität, Partizipationsmöglichkeit und Handlungsfreiheit der Rollstuhlnutzer/-innen haben. Die Subkategorien zu baulich-strukturellen Barrieren wurden in einem weiteren Schritt genauer in ihren Qualitäten beschrieben und den Technikern/-innen des Projektteams in Form von Kodes zur Verfügung gestellt. Wenn beispielsweise eine zu hohe Gehsteigkante ohne Abschrägung genannt wurde, so ergaben sich daraus drei Kodes; z.B.: G1: Gehsteigkante, G1.1: Gehsteigkante ohne Abschrägung und G1.2: zu hohe Gehsteigkante. Die Barrieren im öffentlichen Verkehr wurden separat beschrieben, da sie sich einerseits in den öffentlichen Verkehrsmitteln wie U–Bahnen, Straßenbahnen und Bussen, andererseits im Bereich von Haltestellen, die dem öffentlichen Raum zuzuordnen sind, befinden. Einundzwanzig Nennungen beziehen sich auf den Haltestellenbereich, die als Teil des öffentlichen Raumes behandelt wurden. Zehn Nennungen betreffen öffentliche Verkehrsmittel, die in dem Zusammenhang per se als Barrieren beschrieben wurden.

Barrieren und deren Qualitäten

Im Folgenden werden ergänzend zu Tabelle 2 jene Barrieren in öffentlichen Räumen, die in allen drei Fokusgruppen genannt wurden, aus Sicht der Rollstuhlnutzer/-innen beschrieben und mit entsprechenden Zitaten präsentiert.

Untergründe/ Bodenbeschaffenheit

Die Untergründe (Bodenbeschaffenheiten) waren jene Barrieren, welche am häufigsten diskutiert wurden (siehe Tabelle 2). „Das Kopfsteinpflaster ist sicher schon öfters vorgekommen, ich möchte es trotzdem auch noch mal sagen, Kopfsteinpflaster ist nicht nur für jene, die einen mechanischen Rollstuhl mit kleinen Rädern benutzen, unangenehm (...)“.

Weitere Aussagen der teilnehmenden Rollstuhlnutzer/-innen betrafen die Zusammenhänge zwischen Bodenbeschaffenheit und Auswirkungen auf Körperfunktionen und soziale Abhängigkeit. „Zum Beispiel die Favoritenstraße war, bevor sie umgebaut wurde, super zum Fahren und jetzt haben sie einen Belag gemacht, damit die Skateboardfahrer nicht fahren dürfen. Der ist dermaßen schwer zu befahren, dass du eigentlich immer eine Begleitperson brauchst, falls dir die Kraft ausgeht, damit weiterfahren kannst.“ Diese Wortmeldung verdeutlicht, wie natürliche Barrieren (hier die Steigung einer Straße) durch bauliche Veränderungen noch behindernder im Alltag der Rollstuhlnutzerin wirken. Zu raue und zu holprige Untergründe werden von den Teilnehmern/-innen als „Problem“, „gefährlich“, „schmerzhaft “oder „schlichtweg unmöglich“ bezeichnet.

Gehsteigkante

Zu hohe Gehsteigkanten und solche ohne Abschrägung stellten die meistgenannten Charakteristika von Gehsteigkanten als Barrieren dar. „Also die hohen Gehsteigkanten sind natürlich gerade in Wien ein Hauptpunkt.“ Bei den fehlenden abgeschrägten Gehsteigkanten sind es nicht nur die großen Umwege, die in Kauf genommen werden müssen. Bei der Entscheidung, über die Gehsteigkante auf die Straße zu fahren, müssen negative Folgen für Körper und Rollstuhl in Kauf genommen werden. „Der zweiundzwanzigste Bezirk wäre für mich eine typische Gegend, wo ich auf der Straße fahr‘. Weil da gibt es nirgends einen abgeschrägten Gehsteig, da müsste ich ewig fahren, ich meine runter würde ich schon kommen, aber, nur fürs Kreuz (Anm.: den Lendenwirbelsäulenbereich) ist es auch nicht unbedingt angenehm. Der Rollstuhl leidet auch darunter. “ Die Wahlmöglichkeit Straße ist jedoch auch mit Gefahren verbunden. „Es ist auch gefährlich auf der Straße zu fahren.“

Dass Kanten aus der Sicht von Rollstuhlnutzern/-innen de facto schon eine Barriere darstellen, die nur relativ wenig von deren Höhe abhängig ist, zeigt die Wortmeldung einer Teilnehmerin: „Ja also so wie drei cm würde ich noch schaffen, aber alles Weitere ist mühsam also, entweder schaffe ich (...), oder ich muss anders fahren. (...)“.

Steigungen

Die Steigungen sind die einzigen natürlichen Barrieren, welche in allen drei Fokusgruppen diskutiert wurden. Dabei machen es die Länge der Steigungen, das Fehlen von Rastplätzen und der Untergrund der Steigung für Rollstuhlnutzer/-innen oft zu anstrengend, diese Barrieren ohne Hilfe zu überwinden. „(...) meine Barriere war (...), wo man (...) so rauf geht und sehr lange und das ist ziemlich anstrengend. Also, für mich ist das eine Barriere. Ich lasse mich von irgendjemanden hinaufschieben, weil das einfach nicht zum Schaffen ist. “Aber selbst mit Hilfe sind manche Steigungen nicht zu bewältigen. „Was für mich auch von Bedeutung ist, ist die Steigung. Ab einer gewissen Steigung können meine Assistentinnen mich nicht mehr schieben, dann muss man sich was anderes überlegen.“

Baustellen

„Na Baustellen sind z.B. sehr interessant, also ich bin schon öfters in Sackgassen gelandet (...)“. Diese Wortmeldung beschreibt ein viel diskutiertes Problem, dass bei Baustellen immer wieder Hinweisschilder fehlen und die Teilnehmer/-innen sich plötzlich in einer Sackgasse befinden oder die Baustelle sogar die ganze Breitseite der Straße blockiert. „Na auf jeden Fall beidseitig eine Baustelle ist ein bisschen zu viel des Guten.“

Treppen

Treppen sind jene Barrieren im öffentlichen Raum, die „(...) mit Rollstuhl nicht befahrbar sind.“ Wichtig ist jedoch aus Sicht der Teilnehmer/-innen, dass die Anzahl der Stufen in einem Barriere-Informationssystem genannt wird, da es für manche Rollstuhlnutzer/-innen möglich ist, einige Stufen zu überwinden und daher Wege mit Treppen nicht kategorisch ausgeblendet werden sollen.

Zu schmale und nicht befahrbare Gehwege

Der Gehsteig mit der Gehsteigkante wurde von den Rollstuhlnutzern/-innen an sich schon als Barriere wahrgenommen. Etwas differenzierter betrachtet, war es dann meist die zu schmale Durchgangsbreite„ (<100 cm)“ des Gehweges, welche als behindernde Barriere genannt wurde. „(...) hier scheint es sehr eng zu sein und in unserem Fall ist es halt auch so, dass es zu Kollisionen mit Kinderwägen, mit Personen und so was kommen kann. “Auch bauliche Hindernisse wurden in dieser Subkategorie von denTeilnehmern/-innen genannt: „() weil auf der einen Seite so ein Kasten ist und auf der anderen der Masten, wo die Ampel montiert ist. Also, ob da die Durchgangsbreite gegeben ist, ist fraglich. “

Bauliche Barrieren an Haltestellen von öffentlichen Verkehrsmitteln

Öffentliche Verkehrsmittel sind in Wien häufig barrierefrei benutzbar. Barrieren an den Haltestellen verhindern aber immer wieder das barrierefreie Zu- und Aussteigen: „() man steigt aus der Straßenbahn mit der Rampe, Straßenbahn fährt weg und man merkt, dass man auf einer Insel steht (...)“.

Unausweichliche und gefährliche Schienen

Schienen werden nicht nur als gefährlich beschrieben: „Wo ich jetzt auch schon ein paar Stürze genießen hab dürfen, waren die Straßenbahnschienen...“, sondern werden auch beim Überqueren von Straßen als Barriere wahrgenommen: „Aber wie kann ich den Schienen hier ausweichen, geht nicht.“

Zu steile und zu kurze Rampen

Bei Rampen hängt es meist davon ab, wie steil und wie lang sie sind, um tatsächlich als Barriere-reduzierende bauliche Maßnahme zu fungieren. Ab einer Steigung von „10 %“ sind Rampen aus Sicht einer Teilnehmerin „meistens so, null Chance irgendwie rauf zu kommen. “ Mitentscheidend für die Befahrbarkeit von Rampen ist auch die Bodenbeschaffenheit, die zusätzlich wetterabhängig ist.

Fehlende barrierefreie Zugänge

Bei den fehlenden barrierefreien Zugängen ist zu bemerken, dass besonders Barrieren, die den Zutritt zu öffentlichen Gebäuden verhindern, vermehrt genannt wurden: „(...) die öffentlichen Stellen speziell bei einer Wahl, die sind ja meistens in Schulen untergebracht und da sind die wenigsten ja noch rollstuhlgerecht (...).“ Auch der Zugang zu barrierefreien Toiletten und zu Lokalen wurde von den Teilnehmern/-innen thematisiert. Hier wurden großteils fehlende Zugänge zu öffentlichen Räumen benannt, die aus der Sicht der Teilnehmer/-innen für alle Stadtnutzer/-innen zugänglich sein sollten, wie öffentliche Park- und Toilettenanlagen, Arztpraxen, Wahl- und Geschäftslokale und Spielplätze. „Wenn ich dann nur auf der Asphaltfläche stehen kann, wenn Kindergeburtstag ist, alle sind in der Wiese undzur Wiese hinist einfach ein Betonsockel: Zehn Zentimeter. (…)“

Defekte, zu kleine oder nicht vorhandene Aufzüge

Ein funktionsuntüchtiger Aufzug ist die häufigste behindernde Qualität in Bezug auf diese Subkategorie. Bei den Aufzügen ist es „(...) immer die Quizfrage, ob der Lift funktioniert. “ Eine weitere Barriere und Sorge der Teilnehmer/-innen betrifft die Größe der Aufzüge: „(…) dass wir nicht in den Aufzug rein passen, dass die zu eng sind.“

Fehlende Querungsmöglichkeiten

Die fehlenden Möglichkeiten, eine Straße zu queren, wurden in allen drei Fokusgruppen diskutiert. „(...) von der einen Seite (...) zur anderen kommen muss (...) da muss man ziemlich weit fahren, dass man da zur anderen Seite, ah zur U-Bahnstation kommt (...). “Hier müssen entweder weite Umwege in Kauf genommen werden oder die Rollstuhlnutzer/-innen müssen sich einer erhöhten Gefahr aussetzen, um an ihr Ziel zu gelangen.

Diskussion

Das vorliegende Projekt kann als Beitrag zur partizipativen Qualitätsentwicklung durch angewandte Forschung gesehen werden. Durch die aktive Teilnahme der Rollstuhlnutzer/-innen an den drei Fokusgruppendiskussionen konnten Barrieren aus deren Sicht identifiziert und für den Auftraggeber strukturiert werden. Die beschriebenen Erkenntnisse bestätigen und ergänzen jene, die bereits aus der Literatur bekannt sind (Evcil, 2008; Matthews et al. 2003, Rivano-Fischer, 2004). Im Vergleich zum MAGUS Projekt aus Northamptonshire (GB) ergibt sich in der vorliegenden Studie jedoch eine andere Reihung bei der Auflistung der Barrieren. So stehen Treppen bei Matthews et al. (2003) an erster Stelle. In Wien hingegen sind diese hinter Untergründen, Steigungen, Gehsteigkanten, Baustellen und Liften gelistet. Schienen, Aufzüge und Baustellen wurden in Wien als Barrieren identifiziert, in Northamptonshire jedoch nicht. Dies verdeutlicht die Wichtigkeit, Rollstuhlnutzer/-innen vor Ort als Experten/-innen in die Entwicklung eines regionalen BIS miteinzubeziehen. Die Analyse der erhobenen Sichtweisen unterstreicht weiters die Vielschichtigkeit von Barrieren, denen Rollstuhlnutzer/-innen im öffentlichen Raum begegnen.

Diskussion der Ergebnisse in Bezug zur ICF

In Bezugnahme auf die ICF konnten in dieser Studie Barrieren in den Bereichen Körperstrukturen, Körperfunktionen, Aktivitäten, Partizipation und personenbezogene sowie umweltbezogene Kontextfaktoren (WHO, 2001) benannt werden. Im Folgenden werden exemplarisch Ergebnisse der Studie diskutiert, welche hemmende Umweltfaktoren (physikalisch wie soziokulturell) und Faktoren, die sich negativ auf die Körperfunktions-/Körperstruktur-, Aktivitäts- und Partizipationsebene der Teilnehmer/-innen auswirkten, betreffen.

Aktivitäten und Partizipation

Eine Teilnehmerin erwähnte einen schwierig zu befahrenden Untergrund, der extra präpariert wurde, um das Befahren der Straße mit einem Skateboard zu erschweren. Der Versuch, eine Gruppe von Nutzern/ -innen des öffentlichen Raumes aus diesem zu verdrängen, wirkt sich auch auf Menschen mit Mobilitätseinschränkung aus. Dies ist ein Beispiel für die unzureichende Berücksichtigung von Rollstuhlnutzern/-innen in der Gestaltung öffentlicher Räume; damit einhergehend sind Einschränkungen in ihrer Mobilität und Partizipation. Ein Teilnehmer erwähnte, dass er bei Wahlen auch auf physikalische Barrieren stößt und somit nicht nur vom öffentlichen Leben, sondern auch von seiner politischen Mitsprache ausgeschlossen wird. Anhand solcher Erfahrungen wird deutlich, dass physikalische Barrieren auch auf Handlungsfreiheit und Mitbestimmung wirken. Zudem schränken sie potentiell in Bereichen der Alltags-/ Lebensgestaltung ein: Wenn rollstuhlnutzende Eltern mit ihren Kindern nicht auf Spielplätze fahren können, da dieser für Rollstuhlfahrer/-innen nicht zugänglich ist, schränkt sie dies in ihrer Teilhabe am sozialen Leben und in ihren Familienaktivitäten aufgrund von behindernden Umgebungsfaktoren ein.

Belastungen von Körperfunktionen und Körperstrukturen mit ökonomischen Auswirkungen

Einschränkungen wurden auch in Verbindung mit körperlichen und ökonomischen Problemstellungen benannt. Eine Teilnehmerin berichtet zum einen über Schmerzen beim Fahren über eine Gehsteigkante; zum anderen bestehen Sorgen, dass durch häufiges Fahren über eine Gehsteigkante der Rollstuhl Schaden nimmt und somit höhere Kosten in Bezug auf den Erhalt des Rollstuhls anfallen.

Soziokulturell bedingte Barrieren

Barrieren, welche eine soziokulturelle Komponente beinhalten, wurden häufig genannt. Dass Rollstuhlnutzer/-innen die zu hohen Gehsteigkanten in Wien als „natürlich“ benennen, verdeutlicht, dass Barrieren im öffentlichen Raum in der gesellschaftlichen Wahrnehmung verinnerlicht sind. Welche Barrieren den Rollstuhlnutzern/innen als „natürlich“ erscheinen und welche erwähnenswert sind, scheint sich in deren physikalischen Umwelten, in denen sich die soziokulturelle Umwelt widerspiegelt, unterschiedlich darzustellen. Der Naturalisierung von Barrieren gehen demnach sozial konstruierte Effekte voraus (Cloerkes, 2007, Bourdieu, 2010), die einen Einfluss auf die Sicht der Teilnehmer/-innen in Bezug auf deren Barrieren haben können. Auf den sozialen Status bezogen, wirken Barrieren, laut Schönwiese (2011), nicht nur als Behinderung im Sinne einer Mobilitätseinschränkung, sondern als Bedingungen, welche die Entwicklung der Persönlichkeit aufgrund ihrer Interaktion mit einer spezifischen, physikalischen und sozialen Umwelt im negativen Sinne beeinflussen können.

Diskussion der Ergebnisse in Bezug auf ein Barriere-Informationssystem

In der Studie konnten konkrete Barrieren im öffentlichen Raum in Wien und deren Qualitäten identifiziert werden. So war es für das Projektteam nicht nur wichtig, dass beispielsweise Gehsteigkanten als Barriere genannt wurden, sondern auch deren Qualitäten wie zu hoch oder fehlende Abschrägung darzustellen. Dies führte zu einem erweiterten Verständnis bei den Technikern/-innen in Bezug auf die Sichtweise der Rollstuhlnutzer/-innen auf Barrieren, welche dadurch noch expliziter in ein BIS eingearbeitet werden können.

Offensichtliche Barrieren wie Treppen, welche auch in der Literatur genannt wurden (Matthews et al., 2003), sind in Wien beispielsweise weniger oft als Barrieren diskutiert worden als die Untergrundbeschaffenheit. Für die Umsetzung eines Barriere-Informationssystems in Wien heißt das, dass Treppen gekennzeichnet werden sollen, es aber mindestens ebenso wichtig ist, ein besonderes Augenmerk auf die Bodenbeschaffenheiten zu legen.

Die Ergebnisse aller drei Fokusgruppen zeigen, dass der Großteil der Barrieren im öffentlichen Raum struktureller Natur ist. Längerfristig sollte das Ziel sein, die identifizierten Barrieren zu beseitigen. Dies würde auch den Gesundheitsanliegen der WHO (WHO, 2001; WHO, 2011) und den ratifizierten UN-Behindertenrechtskonventionen (United Nations Treaty Collection, 2006) entsprechen. Laut Schönwiese (2011) führt die alltäglich erlebbare Schwierigkeit im Überwinden baulicher Barrieren zu einem Naturalisierungseffekt, welcher das Problem „Überwinden einer Barriere“ immer dem/der Rollstuhlnutzer/-in als dessen/deren individuelles Problem zuweist. Damit werden Barrieren als natürliches Problem von Menschen mit besonderen Bedürfnissen gesehen, mit denen diese zurechtkommen müssen. Ein Barriere-Informationssystem ist somit auch ein Hilfsmittel, welches es Rollstuhlnutzern/-innen ermöglicht, mit sozial bedingten, physikalischen Barrieren individuell umzugehen. Eine solche kompensatorische Maßnahme kann laut Schönwiese (2011) jedoch auch negative Auswirkung haben. Wird der architektonische Raum mit Hilfe eines Barriere-Informationssystems erobert, kann dies zur Stabilisierung des „deprivierenden symbolischen Raums architektonischer Barrieren“ führen (Schönwiese, 2011, S. 5).

Damit Barrieren durch ein Informationssystem jedoch nicht ausschließlich umfahren und somit gefestigt werden, wurde in der Forschungsgruppe eine „Barriere–Melden–Funktion“ im BIS angeregt. Müller et al. (2010) sehen auch die Verbesserung der Interaktionsmöglichkeiten mit dem Portal als eine wichtige Anregung für die Entwickler/-innen eines Barriere-Informationssystems. Wichtig wäre, dass die gemeldeten Barrieren auch an die verantwortlichen Behörden weitergeleitet werden mit dem Ziel, dass diese Barrieren im öffentlichen Raum entfernt werden. So könnte es zu Veränderungen im Rahmen der Umsetzung der UN-Konventionen im öffentlichen Raum kommen (Ladstätter & Schultz, 2014). Ein BIS könnte damit zu mehr Handlungsfreiheit, Partizipation und Betätigungsgerechtigkeit von Rollstuhlnutzern/-innen führen und somit deren biopsychosoziale Gesundheitssituation verbessern.

Diskussion der Methodik

Im Sinne partizipativer Forschung und partizipativer Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsversorgung war das Studiendesign so ausgerichtet, dass die Erfahrungswerte und Ideen der Teilnehmer/-innen wesentlicher Bestandteil der Datenerhebung waren. Es ging v.a. darum, die Sichtweise der Betroffenen als Experten/-innen für Barrieren, unterlegt durch Beispiele aus ihrer Alltagserfahrung, als Anhaltspunkt für die Entwicklung eines Barriere-Informationssystems zu untersuchen.

Um die Gruppendiskussion anzuregen, wurden den Teilnehmern/-innen Fotos von Barrieren vorgelegt, auf die sie sich in ihren Wortmeldungen auch beziehen konnten. Trotz sorgfältiger Auswahl und Bezugnahme auf das konkrete Stadtbild bei der Zusammenstellung der fotografierten Situationen wurde die Aufmerksamkeit der Teilnehmer/-innen möglicherweise auf manche Barrieren mehr als auf andere gelenkt. Das Nennen der gleichen Problemstellungen hinsichtlich physikalischer und soziokulturell bedingter Barrieren in allen drei Fokusgruppen unterstützt jedoch die inhaltliche Validität der Aussagen.

Matthews et al. (2003) haben in ihrer Arbeit primär die Anzahl identifizierter (genannter) Barrieren gelistet. Ein Vergleich dieser Studie mit Matthews‘ et al. (2003) Studie wurde durch das Zählen der Nennungen der verschiedenen Barrieren versucht. Eine Gewichtung der Barriere-Arten wurde durch Zählen der Nennungen und deren Zuordnung zu Kodes erreicht und erlaubt einen raschen Überblick über die Barrieren, welche in allen drei Fokusgruppen vorrangig thematisiert wurden. Eine quantitative Information zu den Barrieren, also eine Gewichtung, war auch für die Entwicklungsarbeit der Techniker/-innen im Projektteam von Bedeutung. Die Gewichtung der Barrieren war daher als Teil der Arbeit wichtig, kann aber keinesfalls generalisierend bzw. generalisierbar verstanden werden.

In der vorliegenden Arbeit wurde, auch in der Auseinandersetzung mit anderen internationalen Studien, die Notwendigkeit deutlich, näher auf die unterschiedlichen Beschaffenheiten der Barrieren einzugehen. Je nach Kontext können Barrieren verschiedene Qualitäten besitzen, z.B. ein Untergrund kann als solcher zu rau oder aber zu glatt sein – und wirkt in beiden Fällen als Barriere. Eine derartige Differenzierung trägt maßgeblich zu effektiver Beseitigung von Barrieren bei.

Schlussfolgerung

Trotz der Verpflichtung Österreichs, die UN-Behindertenrechtskonventionen bis 2016 umzusetzen, finden sich aus der Sicht der Teilnehmer/-innen der Studie noch viele Barrieren im öffentlichen Raum in Wien. Die Notwendigkeit für ein online Barriere-Informationssystem ist somit gegeben. Durch den partizipativen und interprofessionellen Ansatz konnte die Komplexität und Vielschichtigkeit der von Rollstuhlnutzern/-innen wahrgenommenen Barrieren in Wien dargestellt werden und in ein Nutzer/-innen-orientiertes Barriere-Informationssystem integriert werden. Langfristig ist eine Änderung der Umwelt im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention einer digitalen Hilfestellung vorzuziehen, um die Verwirklichungschancen und damit die Betätigungsgerechtigkeit von Rollstuhlfahrern/-innen zu verbessern.

Danksagung

Das Projektteam bedankt sich bei den Rollstuhlnutzern/-innen für die Teilnahme an der Studie. Weiters danken wir Prof. Dr. Volker Schönwiese von der Universität Innsbruck und PlanSinn für die Unterstützung der Arbeit.

eISSN:
2296-990X
Languages:
English, German
Publication timeframe:
Volume Open
Journal Subjects:
Medicine, Clinical Medicine, other